Feuilleton: Der Kulturjournalist als Berichterstatter und Kritiker
Ein Beitrag des „MERKERS“ Peter Heuberger aus Basel
Jede Inszenierung sowohl im Musiktheater als auch auf der Sprechbühne muss als Gesamtwerk betrachtet werden.
Wollt Ihr nach Regeln messen,
was nicht nach Eurer Regeln Lauf,
der eignen Spur vergessen,
sucht davon erst die Regeln auf!
(Die Meistersinger von Nürnberg, Akt 1, Szene 3, Hans Sachs)
Dies sei unsere Richt‘ und Schnur! Aber ohne Tabulatur!
Was bedeutet dies für uns Kulturjournalisten? Jeder Berichterstatter, jede Berichterstatterin muss bei der Arbeit darauf achten, das Gesehene und Gehörte als Gesamtheit zu beurteilen. Es reicht nicht die Gesangskunst eines Sängers, einer Sängerin als wunderbar zu beschreiben, wenn sich die schauspielerische Leistung in einigen Gesten und Bewegungen erschöpft. Gestik, Mimik, Körpersprache die Interaktion zwischen den ProtagonistInnen muss beurteilt werden. Die Personenführung der Regie ist zu beachten. Die Ideen des Regisseurs der Regisseurin müssen im Rahmen des heutigen sozio-ökonomischen Umfeldes betrachtet werden. Die politischen Verhältnisse sollten Eingang in die Inszenierung gefunden haben. Eine sechzig Jahre alte Inszenierung ist wohl im historischen Kontext des Theaters interessant und oft auch ästhetisch sehenswert. Für die Weiterentwicklung des Theaters als moderne Kunstform sind alte Inszenierungen absolut ungeeignet. Diese Produktionen waren zu ihrer Zeit modern, heute wirken diese nur noch verstaubt, auch wenn junge InterpretInnen in den vorgegebenen Rollen auf der Bühne stehen.
Dazu Barbara Mundel, bis Saison 2016/2017 Intendantin Konzerttheater Freiburg:
>Glücklicherweise muss ich kein Repertoire mit traditionellen, alten Inszenierungen pflegen!<
Was ist das Problem der Theater heute? Noch einmal Barbara Mundel:
>Das Problem für uns heute ist die „Erwartungslosigkeit“ der Besucher. Natürlich gibt es immer noch Theaterliebhaber, welche erwarten, dass AIDA in Ägypten und „THE MERCHANT OF VENICE“ in Venedig spielt. Aber es gibt wesentlich mehr Leute, für welche die Reibungen, die Unterschiede zum Original gar keine Aufregung, Enttäuschung mehr bedeuten. Dazu kommt, dass sich durch die zunehmende Migration die Frage stellt, welches Theater für ein Publikum mit einem komplett anderem kulturellen Hintergrund zu machen ist.<
Was wollen RegisseurInnen, was ist, und war, die Aufgabe des Theaters? Georges Delnon, in einem Interview in Basel:
>Regisseure wollen nicht unbedingt den Text inszenieren, sondern übernehmen die Strukturen oder die Personen. Ich habe den Eindruck, dass es im Schauspiel darum geht, den Zeitgeist zu bedienen, neuen Zeitgeist zu provozieren. Dies funktioniert beim Sprechtheater, bei der Oper ist dies nicht so einfach zu bewerkstelligen<
Der Katalanische Regisseur Calixto Bieito drückt sich folgendermassen aus:
>Ich bin ein Verfechter des reinen Textes, wie er vom Autor verfasst worden ist! Das heisst für mich, dass ich zum Beispiel Richard III so inszeniere wie es vom Text, von einer anerkannten Übersetzung vorgegeben wird, und zwar ohne wesentliche Kürzungen oder Veränderungen. Natürlich interpretiere ich, als Regisseur, auf meine Weise die Personenführung, die Inszenierung. Ich werde zwar als Skandal-Regisseur wahrgenommen und meine Regieführung gibt immer wieder zu Diskussionen Anlass, eigentlich aber bin ich sehr altmodisch, humanistisch. Ich bin ein grosser Verehrer von Shakespeares Texten. Zu bedenken dabei ist, dass in den Originalschriften Interpunktionen weitgehend fehlen und aus diesem Grunde unterschiedlich interpretiert werden können.
Sänger und Sängerinnen im Musiktheater sprechen mit Ihrer Kunst nicht nur den Intellekt sondern auch die Emotionen der ZuschauerInnen, ZuhörerInnen an. Musik als Transportmittel ist viel universeller als die reine Sprache.
Schauspieler und Schauspielerinnen müssen den emotionalen Zugang zu ihrem Publikum erarbeiten,
da nur Sprache, Text primär vorwiegend den Intellekt, das Hirn anspricht. Sie werden nicht von Musik unterstützt. Um den die Gefühle anzusprechen, braucht es Mimik, Gestik, Sprachmelodie, Schauspiel-kunst. Sie müssen sozusagen die „Musik“ selbst erfinden, komponieren. Man kann sagen, dass der
Text im Kopf und die Musik im Bauch aufgenommen werden. Das heisst aber nicht, dass Schauspiel-
kunst nicht auch beim Musiktheater gefordert wird.Das Rampen stehen und Absingen von Arien ist altmodisch und findet im heutigen Musiktheater keinen Platz mehr.
Kultur, also auch Theater ist eine Staatsaufgabe, eine Bildungsaufgabe. Das heisst im weitesten Sinne, dass die Institution Theater keine kommerzielle Angelegenheit sein darf. Eine Eigenwirtschaftlichkeit im Sinne von Industrie und Handel darf nicht gefordert werden, auch wenn populistische Politik dies sehr oft fordert.
Stephan Märki, Intendant Konzert Theater Bern drückt dies aus wie folgt:
>Ein Vierspartenhaus muss entsprechend mit einer eigenen Identität auftreten und lebendig spürbar sein. Dieser Anspruch führt immer wieder zu vielfältigen Diskussionen, aber eine solche Institution muss eben für seine Daseinsberechtigung einstehen. Ich kämpfe gerne, das ist mir lieber, als ein Haus von meinem Vorgänger zu übernehmen und mehr oder weniger auf die gleiche Weise weiterzuführen.
Konzert und Theater als öffentliche Institutionen sind nicht dazu da und sind auch nicht dazu geeignet, im kommerziellen Sinn zu wirtschaften. Kultur muss, wie Bildung und Strassen, für jedermann erschwinglich sein.
Der Eigenfinanzierungsgrad, der wesentlich über die Eintrittsgelder erwirtschaftet wird, ist ein wichtiger Gradmesser dafür, ob man mit dem künstlerischen Programm auch die Interessen des Publikums trifft.<
Genau diese „eigene Identität“ muss von den jeweiligen Intendanzen angestrebt und von uns, als Berichterstatter und Berichterstatterinnen, unterstützt und verstärkt werden. Und dies kann nur geschehen, wenn wir, wenn auch mit kritischen Augen und Ohren, unsere, ja unsere Theater positiv darstellen und dies auch dem Publikum näherbringen. Wesentlich ist auch immer die Aufforderung an die Zuschauerinnen und Zuschauer: Seid bereit, euch auf Neues einzulassen, seid bereit, euch hie und da einen Spiegel vorhalten zulassen. Nicht dass es uns/euch so ergeht wie E.T.A. Hoffmann im Giulietta-Akt von Offenbachs„LES CONTESD’HOFFMANN“ wo er sein Spiegelbild verschenkt, seine Möglichkeit, sich selbst kritisch zu betrachten!
> Zu spät wird ihm bewusst, dass er mit dem Verlust seines Spiegelbilds auch sich selbst, seine Seele und sein ganzes Wesen verloren hat.<(© Programmheft Konzerttheater Freiburg)
Die Medien dürfen sich nicht als Beckmesser aufspielen. Sie haben die Aufgabe zu „Merkern“, Bericht zu erstatten und die Kultur zu unterstützen, ihr zu helfen sich weiter zu entwickeln. Ein Zitat Stephan Märkis zum Abschluss:
> Sprechtheater zu inszenieren ist heute eine der schwierigsten Arbeiten im Theater. Es ist eine grosse Aufgabe, den zeitgenössischen Zugriff zu finden, der mit seiner Poesie, seiner Verführung, aber auch mit seiner Störkraft in die Nähe der gesellschaftlichen Prozesse, der gesellschaftlichen Veränderungen kommt. Das heisst zum Beispiel, die Kunst Stanislawskis und Brechts in der angestrebten Ästhetik zu integrieren.<
Dies gilt für alle Theaterformen. Vergessen wir nie: Auch die ältesten Bühnen-Werke waren einmal modern und sind auf Ablehnung und Widerstand gestossen, weil sie dem Publikum den Spiegel vorgehalten haben.
Peter Heuberger – Merker in Basel