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Apropos: TI GUARDA DAL GRANDE INQUISITOR! TI GUARDA! TI GUARDA!

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TI GUARDA DAL GRANDE INQUISITOR!
TI GUARDA! TI GUARDA!

Ein König ist ein König (so wie ein Met-Direktor ein Met-Direktor), der mächtigste Mann im Lande, der alleinige Entscheidungsträger, sollte man meinen. Und doch warnt König Philipp II. den Marquis Posa in der Oper „Don Carlo“: „Ti guarda dal Grande Inquisitor! Ti guarda! ti guarda!“

Es ist also immer noch jemand drüber. Damals die Kirche und die Inquisition. Heute das, was Offenbach einst als „die öffentliche Meinung“ belächelt hat? Die Medien? Die sozialen Medien? Oder Institutionen, die sich selbst erfunden und selbst ernannt haben und innerhalb kürzester Zeit so unendlich mächtig geworden sind, dass selbst Könige in vorauseilendem Gehorsam lieber Köpfe rollen lassen, als dass sie riskierten, selbst ins Geschützfeuer zu geraten?

Im konkreten Fall hat Peter Gelb, Direktor der „Met“, den 84jährigen, hoch renommierten britischen Regisseur John Copley, der die „Semiramide“ auffrischen sollte, sozusagen in Sekundenschnelle gefeuert, weil ein – für die Öffentlichkeit nicht identifiziertes – Mitglied des Chores schnell berichtet hat, Copley habe in Bezug auf den nicht bei der Probe anwesenden Ildar Abdrazakov gemeint, er würde ihn in der Rolle des Assur am liebsten nackt sehen.

Na gut, na und? Mr. Copley, bekennender Homosexueller, jahrzehntelang mit seinem Partner bis zu dessen Tod verheiratet, hat eigentlich ein Statement als Regisseur abgegeben. In unserer verrückten Welt unterstellt man ihm sofort privat Sexuelles. Peter Gelb feuerte ihn ohne Umschweife. Copley nahm das nächste Flugzeug nach England. Seine Reaktion war das, was der Met fehlte – sie war nobel, gemessen, ohne Anklage: „Just to thank you all for your generous support and loving wishes. This is a very difficult time, helped by you all. Uncle John.“

Er konnte auch tatsächlich danken, denn endlich regte sich etwas wie Widerstand gegen den Wahnsinn. Berühmte Opernsänger, die mit ihm gearbeitet haben (Dame Anne Evans, Samuel Ramey), nahmen Copleys Partei. Großbritanniens berühmter Kritiker Rupert Christiansen sagte das absolut Richtige: „Oh for f*ck’s sake, can we not grow up?“ „The world is indeed going mad“, schreibt ein anderer. „This is a disgraceful thing to happen. Jokes now forbidden“, lautet eine weitere Meinung. „This is simply nuts“, meint ein anderer. Daniel Harding erklärt: „Had to check to see it wasn’t April 1st. It simply can’t be true.“

„Gelb’s panicky over-reaction is indicative of the poisoned atmosphere at the Met in the post-Levine climate“, schreibt
http://slippedisc.com/2018/02/exclusive-why-peter-gelb-fired-uncle-john-copley/#comments
und arbeitet den Fall auf.

Das Problem hat jetzt die Queen – Copley wurde nämlich 2014 für seine Verdienste um die Oper zum Commander of the Order of the British Empire (CBE) ernannt. Was jetzt? Orden runterreißen und den alten Mann mit einem Fußtritt davonjagen? Wegen einer Bemerkung, die nichts weiter war als ein Scherz?

Und während ich mich durch den Fall durchlese, läuft unten auf der Website eine Zeile mit der neuesten Nachricht, die besagt, die Manchester Art Gallery habe ein Gemälde von John William Waterhouse (ein hoch geachteter Präraffaelit) abgehängt, weil die darin dargestellte Szene von „Hylas and the Nymphs“, wie Kuratorin Clare Gannaway sagte, ein Gemälde sei, „that presented the female body as a passive decorative art form or a femme fatale.“

Jetzt können das Kunsthistorische Museum und alle großen Museen der Welt anfangen, ihre Nackten der Weltkunst abzuhängen, denn die Grenze zwischen Kunst und lustvoller Betrachtung des „ausgebeuteten“ weiblichen Körpers wird schwer zu ziehen sein und im Auge des (lüsternen?) Betrachters liegen.

Und was kommt als nächstes? Ti guarda dal Grande Inquisitor! Ti guarda! ti guarda!

Renate Wagner

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