Line Renaud und Charles Aznavour. Copyright: Anderea Matzker
Eine persönliche Hommage an Charles Aznavour
„Les poètes ne meurent jamais – Die Dichter sterben nie“
Emmanuel Macron
Von Andrea Matzker und Dr. Egon Schlesinger
Eine ganze Woche der Trauer überschattete die Musikwelt und liegt nun hinter uns. Als am Montag, dem 1. Oktober 2018, bekannt wurde, dass Charles Aznavour gestorben sei, hörte man auf allen Sendern in Frankreich 24 Stunden lang seine Stimme. Ebenso in Italien. Die Italiener sahen ihn fast als einen der ihren an, seit Iva Zanicchi vor langer Zeit als erste Künstlerin überhaupt eine ganze Langspielplatte allein mit seinen Liedern auf italienischer Sprache eingesungen hatte. Dies war der Anlass dazu, ihn selbst auf die Idee zu bringen, auf Italienisch zu singen. Seither begleiteten seine Songs die Italiener aller Generationen und bildeten den musikalischen Hintergrund für ihre diversen Lebensphasen. Er liebte die Italiener sehr, denn sie seien optimistischer als die Franzosen. In Deutschland wurde sein Tod nur marginal mit ein oder zwei Sätzen erwähnt; der Film „Die Blechtrommel“ lief am Tag seiner Beerdigung auf Arte.
Die Autoren dieser kleinen Würdigung hatten sich zu Beginn des Jahres ganz besonders darauf gefreut, dass Charles Aznavour im Rahmen seiner Europatournee am 4. August auch in Köln gastieren sollte und hatten sich sofort Karten gekauft. Als das Konzert leider abgesagt werden musste aufgrund seines Armbruchs, den er sich Mitte Mai zugezogen hatte, bestand die Hoffnung, dass das Konzert sogar nachgeholt werden würde, und in jedem Fall aber die restlichen Konzerte der Tournee ab September wie geplant stattfinden sollten. Das Schicksal erlaubte diese weiteren Termine nicht mehr, obwohl er noch in der vorletzten Woche verschiedenste Auftritte hatte, zweimal mit Jean-Paul Belmondo im Pariser Restaurant „Le Centenaire“ gespeist hatte, guter Dinge war und bereits viele Pläne für die kommende Woche und die Zukunft hatte. Seine Freunde sagten allerdings, dass ihn ein tiefer Kummer erfasst hatte, seit am 5. Dezember 2017 sein langjähriger Freund Johnny Hallyday und nun am 18. September auch der Schauspieler und Schriftsteller Jean Piat, dem er fast ein ganzes Leben lang verbunden war, starben. Vielleicht haben ihm diese Schicksalsschläge das Herz gebrochen.
Patricia Kaas und Charles Aznavour. Copyright: Andrea Matzker
Bis zu diesem Jahr gab es drei persönliche Begegnungen mit Charles Aznavour für die Kölner Autoren. Nach seinem Konzert in der Rheingoldhalle von Mainz lud der Künstler sie persönlich zu seinem 80. Geburtstag in das Palais des Congrès von Paris ein. Das Konzert „Bon Anniversaire Charles“ am 22. Mai 2004 wurde so zu einem unvergesslichen Erlebnis. Der französische Staatspräsident Jacques Chirac war mit seiner Frau zugegen, Weltstars wie Liza Minelli, Nana Mouskouri, Patricia Kaas, Line Renaud, Roberto Alangna und Johnny Hallyday traten zusammen mit dem Jubilar auf. Zur lit. Cologne kam er im Jahre 2011, um gemeinsam mit Volker Schlöndorff im Schauspielhaus seine Autobiographie “Mit leiser Stimme“ vorzustellen. Bei dieser Gelegenheit traf man sich persönlich im Hotel Wasserturm der Stadt zu einem Gespräch.
Sein Lebenslauf, seine diversen Engagements auf sozialer Ebene und für Armenien, seine Filme und seine unendlichen musikalischen Erfolge sind hinlänglich bekannt. Daher nur ein paar Worte zu seiner Person. Freundschaft war für ihn eine ernstzunehmende Sache, denn einen wirklichen Freund hat man erst nach 30 Jahren. Nach dem Grund für seine eindrucksvolle Intensität bei jedem einzelnen Auftritt befragt, sagte er ganz einfach: „Ich nehme keine Drogen, gehe früh ins Bett, arbeite jeden Tag und habe seit 50 Jahren die gleiche Frau. Das ist die solide Basis für meine Ausstrahlung und der Grund für meinen Erfolg.“ Er schrieb jeden Tag an neuen Kompositionen, verwarf auch Vieles, aber Arbeit war für ihn das Leben. Über 1400 Chansons hat er geschrieben. Er selbst hat sie in sieben Sprachen eingesungen, darunter auch auf Neapolitanisch, worauf er besonders stolz war. Um die 300 Millionen Schallplatten hat er verkauft, und Konzerte hat er bis zu seinem – trotz des hohen Alters – überraschenden Tod gegeben. Er glaubte an einen allen Religionen übergeordneten Gott und gab seine Angst vor dem Tod unumwunden zu: “Leben kannst du zweimal, sterben nur einmal.“ Als er 50 Jahre alt wurde, wollte er die nächste Geburtstagsfeier erst wieder zum 100. machen. Fast hätte er es geschafft. Aber seine Lieder bleiben ewig. Genau wie sein eigenes Lieblingslied „Hier encore“ oder auf Italienisch „Ieri si“. Der größte Traum seines Lebens war, einmal in der Mailänder Scala zu singen.
Auf Wunsch der Familie, die nicht ein riesiges Volksereignis wie bei der Beerdigung von Johnny Hallyday gewünscht hatte, fand die Trauerfeier am vergangenen Freitag, dem 5. Oktober 2018, im Hof des Hôtel des Invalides als extrem würdiger, ergreifender und bewegender Staatsakt mit militärischen Ehren statt. Die ehemaligen Staatspräsidenten Nicolas Sarkozy und Francois Hollande waren zugegen. Emmanuel Macron, mit dem Charles Aznavour in der nun kommenden Woche ursprünglich zum Frankophonie-Gipfel nach Armenien reisen sollte, sprach die Trauerrede, die schöner, passender, geschmackvoller und emotionaler nicht hätte sein können, ebenso wie die gesamte Feier an sich. Hätte Charles Aznavour sie hören können, so wäre er mit dem letzten kleinen Kümmernis, dass er zeitlebens hatte, nämlich dem Eindruck, dass er in Frankreich nie so sehr geschätzt worden sei wie im ganzen Ausland, absolut versöhnt gewesen. Kein Zweifel hätte mehr daran bestanden, dass er in Frankreich die allerhöchste Wertschätzung genoss und genießt.
Der Samstag war aus diesem Anlass ein nationaler Trauertag in Frankreich. Nach der Messe in der Kirche Saint-Jean-Baptiste in Paris wurde Charles Aznavour im Familiengrab auf dem Friedhof von Montfort-l’Amaury in der Nähe von Paris unter Ausschluss der Öffentlichkeit bestattet. Am gleichen Tag wie er starb der bekannte Komponist Stelvio Cipriani, der die Musik für über 200 Kinofilme schrieb und mit der Titelmelodie zum Film „Anonimo Veneziano“ weltberühmt wurde, und am Tage seiner Beerdigung verstarb Montserrat Caballé. Arte widmet dem großen Künstler am Sonntag (7.10. mehrere Sendungen, geplant sind um 17:00 Uhr ein Konzert und am Abend der Truffaut-Spielfilm „Schießen Sie auf den Pianisten“.