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Ein Jahrhundertsänger im milden Abendlicht

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Ein Jahrhundertsänger im milden Abendlicht

Eine Annäherung an das Phänomen Plácido Domingo in seiner baritonalen Spätphase    Von Manfred A. Schmid

 

Das Folgende ist keine Rezension der zweiten Aufführung der laufenden Aufführungsserie von Giuseppe Verdis La Traviata am 1.Juni 2018. Vielmehr handelt es sich um den Versuch, die magische Wirkung des Auftritts von Plácido Domingo auf das Publikum, wie sie in dieser Vorstellung erneut zu erleben war, zu begreifen und nachvollziehen zu können.

Ein 77-jähriger Mann betritt die Bühne. Noch bevor er den ersten Ton singt, ertönt begeisterter Begrüßungsapplaus. Dabei ahnt wohl jeder: Die Zeiten des Jahrhunderttenors Domingo sind längst vorbei; seit einiger Jahren tritt er nur mehr in Baritonrollen auf. Zunächst recht erfolgreich, etwa in der Titelpartie von Verdis Simon Boccanegra. Inzwischen aber ist aus seiner Stimme, wie man sich gleich überzeugen wird können, kaum mehr als nur ein schwacher Schatten ihrer einstigen Strahlkraft geworden. Und dennoch: Mag die musikalische Performance noch so dürftig sein, der Applaus ist ihm sicher.

Der unbarmherzige Kritiker, der jeden gesungen Ton akribisch verfolgt, vergleichbare Leistungen aus seinem Gedächtnis abruft und ein daraus resultierendes eklatantes Missverhältnis konstatieren muss, schüttelt verständnislos den Kopf und ärgert sich über diese, in seinen Augen ignorante Reaktion. Das Publikum lasse sich eben von Namen blenden und habe wieder einmal natürlich überhaupt kein Tau davon, was hier tatsächlich geboten wird.

Doch halt: Man sieht nur mit dem Herzen gut, heißt es bei Saint-Exupéry. Könnte das zuweilen nicht auch für das Hören gelten? Entgehen dem Kritiker hier nicht wesentliche Zwischentöne, die fast 90 Prozent im Publikum, das glückselig klatscht, offenbar doch wahrnehmen? Ist es nicht so, dass hinter der brüchig und grau gewordenen Stimme noch immer das unverwechselbare Timbre einer Stimme, einem in Jahrzehnten vertraut geworden, durchschimmert und an die großen Momente einer Karriere erinnert, die man miterlebt hat? Gilt der Begrüßungsapplaus also nicht so sehr dem zu Erwartenden, sondern dem bereits so oft so wonnevoll Erlebten? Jedenfalls liegt unendliche Dankbarkeit darin, und das Wiener Publikum ist bekannt für seine immer wieder bewiesene Dankbarkeit gegenüber seinen geliebten und vertrauten Sängerinnen und Sängern.

Schließlich spielt wohl auch die Freude darüber eine Rolle, dass hier ein Sänger, der auf den 80-er zugeht, noch immer mit sichtbarer Freude seinem Beruf nachgeht und diese Freude auf magische Weise auf sein treues Publikum überspringen lässt. Domingo singt noch! Also ist die Welt, wie wir sie kennen, noch immer so, wie sie war und möglichst lange noch bleiben soll. Das übliche Berufsleben erzählt bekanntlich ganz andere Geschichten.

Die hie und da lautstark geäußerten Bedenken mancher Kritiker, dass Domingo durch derlei Auftritte dabei sei, seinen Ruf nachhaltig zu beschädigen, sind lächerlich. Dieser Ausnahmekünstler, der wohl zu den vermutlich besten Sänger-Darstellern der letzten Jahrzehnte zählt, hat seinen dauerhaften Platz im Himmel der Tenöre, so sicher wie kaum ein anderer.

Was bleiben wird, ist Domingo als Otello, Domingo als Alfredo, Domingo als Lohengrin. Jener Domingo also, der in mehr als 148 verschiedenen Rollen aufgetreten ist, mehr als jeder andere Tenor, der in den Annalen der Musik verzeichnet ist.

Und einige, vielleicht gar nicht so wenige, werden sich einst – mit Wehmut und mit der einen oder anderen Träne im Auge sowie mit Dankbarkeit im Herzen – wohl auch gern an jenen Domingo erinnern, den man im Juni 2018 nochmals als Vater Germont auf der Bühne der Staatsoper erleben konnte.

Zum Schluss sei noch daran erinnert, dass die Oper nicht nur für den elitären Kreis der Eingeweihten da ist, die mit Partitur und Taschenlampe in der Hand den Ablauf akribisch verfolgen und argwöhnisch darüber wachen, ob ja wohl alle Angaben 1:1 übernommen werden. Die Oper gehört ebenso dem breiten Publikum, das einfach seine Freude daran hat. Dessen Begeisterung über Plácido Domingo in seiner baritonalen Nachspielphase als Dummheit und banale Anspruchslosigkeit abzutun, ist eine Position, die dem Wunder Oper nicht annähernd gerecht wird. Selbstverständlich soll der geübte Kritiker seinen geübten Verstand nicht bei der Kassa abgeben. Aber manchmal geziemt es sich eben, sein scharfes Gehör um mindestens ein weiteres Sinnes-Organ zu erweitern: Man hört eben nur mit dem Herzen gut!

Manfred A.Schmid – OnlineMERKER

 

P.S.: Dieser FEUILLETON-Beitrag von Manfred Schmid beschäftigt sich nicht nur mit dem Phänomen Domingo, sondern stellt offensichtlich auch eine Antwort auf eine im OnlineMERKER erschienene Rezension der letzten Traviata vom 29.5. eines nicht zum Kreis unserer Kollegen zählenden Kritikers dar. Dieser hat in seinem Elaborat am Ende den Satz gestellt: „Viele der Anwesenden spendeten großzügig Applaus; vermutlich in Unkenntnis der Partitur und in der Armut ihrer Bedürfnisse“.

Unabhängig davon, ob in den Ohren eines solchen Kritikers jeglicher Applaus dem Dargebotenen unwürdig sei oder nicht (das steht ihm selbstverständlich zu), hat er sich in seiner Funktion weder dem Publikum noch seinen Lesern gegenüber die Frechheit zu erlauben, diese als in geistiger Armut befindliche zu bezeichnen. Eine derartige Präpotenz Applaudierenden gegenüber ist mit aller Schärfe zurückzuweisen! Goethe hatte ja doch nicht ganz unrecht!

Peter Skorepa – OnlineMERKER
3.Juni 2018
Beitragsbild Wr.Staatsoper (C) GOLDAMMER
Mit freundlicher Genehmigung des Künstlers


WIEN/ Russische Botschaft: Buchpräsentation Hans-Joachim Frey: „Russland lieben lernen“

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Buchpräsentation Hans-Joachim Frey: „Russland lieben lernen“, in der Botschaft der Russischen Föderation Wien, am 6. Juni 2018

Bildergebnis für hans joachim frey russland lieben lernen

Mittwoch, 6. Juni 2018, fand in der Botschaft der Russischen Föderation in Wien die Besprechung des neuen Buches von Prof. Hans-Joachim Frey, „Russland lieben lernen“ im Kreis vieler  Freunde und Bekannte sowie der Moderation durch den russischen Botschafter Dimitry Lubinsky statt. Dieser berichtete zunächst von dem außergewöhnlich erfolgreichen Besuch des russischen Präsidenten Vladimir Putin am Vortag in Wien, der unter anderem auch kulturpolitische Themen ansprach. So wurde auch eine Vereinbarung erreicht, ein sog. Österreichisch-Russisches Gesellschafts-Forum zu gründen, den „Sochi-Dialog“, dessen kuratierende Leitung Prof. Frey von österreichischer Seite sowie von Russland dem Künstlerischen Leiters des Sankt Petersburger Musikhauses und Volkskünstler Russlands, Professor Sergej Roldugin übertragen wurde. 

Anlässlich des gestrigen Geburtstages von Alexander Pushkin unterstrich der Botschafter, das Prof. Frey jemand sei, der die „russische Seele begriffen“ habe. Das Buch wolle Vorurteile abbauen und Liebe zu Russland aufbauen. Wer von ihr gepackt ist, komme nicht mehr los von ihr. Er, der Botschafter, hoffe bereits auf eine Fortsetzung des Buches. Der Titel könnte lauten: „From Russia with Love“. 

Sodann las Prof. Frey einige Stellen aus seinem Buch vor, aus denen klar hervor ging, wie sehr er dieses Land schätzt und die Leser anregen will, es zu besuchen, falls nicht schon erfolgt – dann eben wieder. (Ich möchte hier anfügen, dass ich vom 19. bis 24. Mai selbst wieder einmal in Russland war, um Gastspiele der Uraloper am Alexandrinsky Theater in St. Petersburg und der Sofia Oper und Ballett am Bolschoi-Theater in Moskau zu besuchen. Dabei fiel mir auf, welch großen Fortschritte das Land, insbesondere in der Infrastruktur, in den letzten Jahren gemacht hat). Prof. Frey betonte, dass ein Kapitel des Buches einem seiner besten Freunde, dem langjährigen Präsidenten-Dolmetscher Oleg Siborov gewidmet sei, der vor einigen Jahren viel zu früh verstorben ist. Auch zeigte sich Frey gerührt von der Bereitschaft des russischen Kulturministers Vladimir Medinsky, der im neuen Kabinett von Präsident Putin erneut bestätigt worden ist, zu einem Vorwort für das Buch. 

Schließlich ging Frey etwas näher auf das große und von ihm als Künstlerischem Direktor geleitete Projekt ein, in Sochi am Schwarzen Meer ein internationales Kulturzentrum für die Sirius-Foundation aufzubauen. Man arbeite gerade an einem wunderschönen Theater-und  Konzertneubau mit 1.300 Plätzen und plane erste Opernaufführungen für die Saison 2021/22. Dort sollen u.a. auch Opernfestivals stattfinden, unter Mitwirkung des Mariinsky-Theaters in Sankt Petersburg und des Bolschoi-Theaters in Moskau. 

Prof. Hans-Joachim Frey beendete seinen Vortrag mit den Worten: „Es ist mir ein Bedürfnis, dieses Land und seine Leute Ihnen näher zu bringen. Russland, das größte Land der Erde, wartet auf Sie!“

Im Publikum saßen übrigens auch Frau Dr. Margot Löffler, Sonderbeauftragte für Internationale Beziehungen der öst. Regierung, und die weltweit bekannte Opernsängerin     Aida Garafullina, die am 13. Juni bei der Eröffnung der Fußball-WM am Roten Platz in Moskau mit singen wird, mit vielen Größen der Klassikszene. 

Hans-Joachim Frey selbst wird auch zur Schluss-Gala zur WM in Moskau mit von der Partie als Regisseur sein, bei einer geschlossenen Veranstaltung der FIFA und des russischen Präsidenten, die am 14. Juli mit internationalen Stars wie Anna Netrebko, Yussef Eyvazov , Plácido Domingo und weiteren im Bolschoi-Theater stattfinden wird. Dieser Event wird weltweit im Fernsehen übertragen werden.

Natürlich konnte diese Buch-Präsentation, die auch viel mit der klassischen Musik zu tun hat, nicht ohne einen musikalischen Teil bleiben. So erlebte das begeisterte Publikum hervorragende Leistungen der jungen Musiker vom Sankt Petersburger „Haus der Musik“, einer jungen russischen Pianistin und einiger junger weitgehend russischer Instrumentalisten: Wladimir Ustjanzew (Saxophon) spielte die Sonate für Violine und Klavier von César Franck in einer Transkription für Saxophon von J. I. Formo (*1961). Am Flügel saß Anna Odinzova, Preisträgerin einiger internationaler Wettbewerbe. Der Cellist Alexander Ramm, Preisträger des XV. Internationalen Tschaikowsky Wettbewerbs, interpretierte sodann fulminant das Nocturne D-Moll op. 19 Nr. 4 dieses Komponisten sowie den „Tanz des grünen Teufels“ (1926) von Gaspar Cassadó (1897-1966). Am Klavier wieder Anna Odinzova. Der talentierte Philipp Kopatschewski spielte anschließend am Flügel das Nocturne Es-Dur op. 9 Nr. 2 sowie die Polonaise As-Dur op. 53 von Frédéric Chopin. Der Violinist Pawel Miljukow schloss den musikalischen Teil ab mit einer bestechenden Interpretation der Konzertfantasie von Igor Frolov (1937-2013) über Themen aus der Gershwin-Oper „Porgy and Bess“.

Die Leistungen dieser jungen Musiker und der Musikerin waren ganz ausgezeichnet und von höchster emotionaler Intensität gekennzeichnet. Ihnen allen sei eine große musikalische Zukunft gewünscht!

Ref. „Russland lieben lernen“ von Hans-Joachim Frey, Verlag Husum. ISBN 978-3-89876-910-5 

360 Seiten

Klaus Billand

Die Wiener Festwochen neu – FEST: eine Fehlplanung in der Bildungspolitik?

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Die Wiener Festwochen neu – FEST: eine Fehlplanung in der Bildungspolitik?

FESTFEST FEST …. groß und deutlich affichiert in ganz Wien zu sehen. Werbung für die Festwochen ist damit gemeint, für die traditionellen und von der Stadt nach wie vor großzügig subventionierten Wiener Festwochen. Feststimmung ist allerdings seit 11. Mai bis jetzt noch keine aufgekommen: Das ganze  Konvolut an kleineren Events mit fast ausschließlich aus dem Ausland engagierten Künstlern und Miniensembles wirkt so ganz an den kulturellen Rand gerückt. Die aus politischen Motivationen angedachte Umstrukturierung der Wiener Festwochen durch Intendant Tomas Zierhofer-Kin und dessen Suche nach einem neuen Publikum – eine absolut wesentliche Aufgabe für jegliche Bildungspolitik, rechts- wie linkspopulistische – bleibt nun auch beim zweiten Anlauf unbefriedigend.

Festlich ist für die Wiener zur Zeit nichts zu erleben. Sound, sehr lauter, die Ohren quälender Sound ist zwar fast immer mit dabei, doch ohne aufbauende festliche Musik muss man hier auskommen. Man kann sich im Theater an der Wien treffen. Dort: im Anspruch etwas gehobener – langatmig etwa Christoph Marthalers „Tiefer Schweb – Ein Auffangbecken“ in dessen nun bereits stark ausgereizter Egghead-Manier. Oder ein Treff in der kleinen Halle des Museumsquartiers: Durchaus  unterhaltsam und dabei total schräg ist das Anarcho-Tierpuppen Musical „The 2nd Season“ mit internationalen Wurzeln und Funk-Posaunist Fred Wesley. Bemühte Sozialkritik prägt die meisten dieser Gastspiele wie die kaum beachteten Installationen. Und das Theater Akzent stellt sich so ganz und gar nicht wie ein Festspielhaus vor. Das Publikum ermüdet haben hier das stumme  Bewegungsspiel „La Plaza“ von El Conde de Torrefiel oder die Klangcollage und Bunt-Maskerade in „The Virgin Suicides“, einer zähen Produktion der Münchner Kammerspiele.

Und mit seinen ausschließlich in Zeitlupentempo ausgeführten Massen-Beziehungsstudien hat Gisèle Viennes Tanzstück „Crowd“ ermüdet, endlos lang auf nassem erdigen Boden in den alten Gösserhallen in Favoriten vorgeführt. Hier soll jüngeres Publikum seine Feste feiern. Man steht leger herum, kurze Hosen sind im Hitzestau durchaus o.k., trinkt dazu sein Bier, hofft auf geistige Nahrung. Nicht ständig repetierender Computersound diesmal, sondern ausnahmsweise gar Franz Schuberts Liederzyklus „Winterreise“? Gar nicht erbaulich oder vergeistigend, wenn Regisseur Kornél Mondruczó zu „Fremd bin ich eingezogen, fremd zieh ich wieder aus“ oder „Gefrorene Tränen“ Filmeinspielungen von Flüchtlingsströmen, – lagern oder aktuelle deprimierende Momentaufnahmen mit spekulativer Kalkulation vorführen lässt. 

Also, abwarten, wie sich dieses umstrittene Wiener Festwochen-Konzept weiter entwickeln kann. Oder vom neuen Bürgermeister unterbunden wird. Nachhaltigkeit scheint ja keine gegeben zu sein. Altbürgermeister Häupl darf man sicher nicht fragen, was ihm von den vorjährigen Festwochen in Erinnerung geblieben sein könnte. Wie es heißt: Er hätte sie geschwänzt.

Meinhard Rüdenauer

ACHTUNG, GEFAHR IM VERZUG

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Der Hut beginnt am Klavier zu brennen (Foto M.Pöhn)

Achtung,  Gefahr im Verzug

 

Es brennt der Hut der Direktion, aber zumindest das Klavier auf der Bühne, auf welcher eine weitere Lachnummer mit

DER EREMIT IM KRONLEUCHTER

im Stile der lustigen Opernskeches eines Otto Schenk in der Wiener Staatsoper statt einer aufregenden Regiearbeit für den Freischütz aufgeführt wurde.

Jedenfalls Schade  um das verbrannte Steuergeld, mit dem die Serie von Regiearbeiten gestern Abend fortgesetzt wurde, Inszenierungen mit denen die Nachfolgedirektion sich mit Sicherheit nicht öffentlich blamieren möchte, wenn die jetzige Direktion abgetreten sein wird.
Und Gefahr im Verzug für das Steuergeld, dass noch für die geplanten Neuinszenierungen der angezählten Direktion bereit liegt, um womöglich ebenfalls solche Fehlinvestitionen wie derjenige des gestrigen Abends, eines FREISCHÜTZ, dem die Romantik ausgetrieben wurde und durch grässliche Langeweile ersetzt wurde, zu finanzieren.

Was bleibt der Nachfolgedirektion dann noch für die Herstellung eines Spielplanes übrig?

Es wäre dringend notwendig, seitens der Bundestheaterverwaltung eine Evaluierung der restlichen Projekte der alten Direktion durchzuführen zu lassen bzw. begleitend zu kontrollieren, um deren Spielbarkeit auch für die neue Direktion sicherzustellen und absehbaren Katastrophen – auch noch im letzten Moment –  gegenzusteuern. Und wenn es nur die Räumung von Badewannen von der Bühne, der Abbau von Verkehrsverbindungen für Eremiten im Kronleuchter und sonstigen unnötigen Regieschwachsinns bedeutete.

Peter Skorepa
OnlineMERKER

Marion LIPPERT – ein Versuch, dem Vergessen zu entreissen

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Marion LIPPERT – ein Versuch, dem Vergessen zu entreissen

 Geboren am 24. August 1936 in München; Gesangstudium bei Irma Koboth, Hedwig Fichtmüller und Annelies Kupper in München. Vervollständigung der Ausbildung bei Giuseppe Pais in Padua. 1956 begann sie ihre Karriere am Stadttheater von Hagen (Westfalen), wo sie als Aida debütierte. 1959 kam sie an das Stadttheater von Augsburg, 1962-64 war sie am Opernhaus von Köln, 1963-77 an der Staatsoper Stuttgart engagiert. Hier entwickelte sie eine große Karriere im dramatischen Sopranfach und hatte entsprechende Erfolge auch bei Gastspielen: 1964-68 häufig an der Deutschen Oper Berlin (u.a. als Amelia in Verdis »Maskenball«, als Donna Anna im »Don Giovanni« und als Lady Macbeth in Verdis »Macbeth«), 1966-67 an der Staatsoper Wien (als Senta in »Der fliegende Holländer«, als Tosca und als Venus im »Tannhäuser«), an der Staatsoper Hamburg (mehrfach in den sechziger Jahren), am Teatro San Carlos Lissabon (1965 als Sieglinde in der »Walküre«, 1967 als Brünnhilde im »Siegfried«), 1967-69 an der Staatsoper München (u.a. als Abigaille in Verdis »Nabucco« und als Turandot von Puccini), 1968 am Teatro San Carlo Neapel (als Sieglinde), 1963 am Teatro Comunale Florenz (als Sieglinde), 1969 am Teatro Comunale Bologna (1972 als Turandot und 1974 als Lady Macbeth), bei den Festspielen in der Arena von Verona (1971 als Lady Macbeth).


Marion Lippert als Lady Macbeth mit Dietrich Fischer-Dieskau

1967 hörte man sie an der Oper von Marseille (als Venus), 1970 an der San Francisco Opera (als Abigaille), 1971 am Teatro Regio Turin und in Tokio (als Turandot), 1972 in New Orleans (als Turandot), 1972 an der Oper von Boston (als Amelia im »Maskenball«), 1972 an der Grand Opéra Paris wie am Teatro Colón Buenos Aires wieder in ihrer großen Glanzrolle, der Turandot. In den Spielzeiten 1968-70 und 1973-74 war sie Mitglied der Metropolitan Oper New York, an der sie als Turandot debütierte und außerdem als Marschallin im »Rosenkavalier«, als Senta und als Elisabetta in Verdis »Don Carlos« in insgesamt 25 Vorstellungen auftrat. Sie trat weiter als Gast an der Deutschen Oper am Rhein Düsseldorf-Duisburg, an den Opernhäusern von Essen, Dortmund, Frankfurt a.M., an der Staatsoper von Dresden, am Staatstheater Karlsruhe, am Gran Teatre del Liceu in Barcelona, in Venedig, am Opernhaus von Zürich und bei den Festspielen von Athen auf. In Nordamerika hörte man sie auch an den Opern von Chicago, Baltimore, Pittsburgh, Toronto und Vancouver. Weitere Höhepunkte in ihrem Repertoire waren die Leonore in »La forza del destino«, die Rezia im »Oberon« von Weber, die Brünnhilde im Nibelungenring, die Salome in der gleichnamigen Richard Strauss-Oper, die Kaiserin in der »Frau ohne Schatten«, gleichfalls von Richard Strauss, die Norma von Bellini, die Leonore im »Fidelio« und die Santuzza in »Cavalleria rusticana«. Aus ihrem sehr umfangreichen Repertoire für die Bühne sind noch die Pallas Athene in Monteverdis »Il Ritorno d’Ulisse in patria«, die Titelrolle in »Rodelinda« von Händel, die Roxane in »Temistocle« von Johann Christian Bach, die Chawa in »Die ersten Menschen« von Rudi Stephan, die Chrysothemis in »Elektra« von R. Strauss, die Isabella in »Columbus« von W. Egk, die Mutter in Dallapiccolas »Il Prigioniero«, die Manon Lescaut von Puccini, die Giorgetta in dessen »Il Tabarro«, die Minnie in »La Fanciulla del West«, die Ariadne auf Naxos und die Arabella von R. Strauss nachzutragen. Auch als Konzertsängerin kam sie zu einer Karriere auf internationaler Ebene. Sie starb am 28. März 1997 in Rottach-Egern (Bayern).

Schallplatten: Gala (Titelrolle in Puccinis »Turandot«, Bari 1972), Memories (Chrysothemis in »Elektra« von R. Strauss unter Carlos Kleiber, Oper Stuttgart).

 

https://www.youtube.com/watch?v=UuYTdxfNhu4

https://www.youtube.com/watch?v=iZxKvcp0cro

https://www.youtube.com/watch?v=GFIOKH_URD4

Peter Alsbergs/ Walter Nowotny

 

Rückblick und Ausblick – Ausstellung zum 25. Domstufenjubiläum Erfurt

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Rückblick und Ausblick – Ausstellung zum 25. Domstufenjubiläum Erfurt in den Räumlichkeiten der Helaba Landesbank Hessen-Thüringen


Copyright: Larissa Gawritschenko, Thomas Janda.

 Die Carmen-Inszenierung zum 25. Domstufenjubiläum verspricht spannend, ereignisreich und spektakulär zu werden. Gemeinsam mit dem Generalsponsor, der Helaba Landesbank Hessen-Thüringen, veranstaltet das Theater Erfurt eine facettenreiche Ausstellung. Sie widmet sich dem 25. Jubiläum der Festspiele in einer wirklich interessante Einblicke vermittelnden Rückschau. Neben Einsichten in die diesjährige Carmen-Inszenierung stehen Dekorationselemente und Modelle aus vergangenen 24 Festspielproduktionen im Mittelpunkt dieser kleinen und feinen Ausstellung. Für alle Domstufen-Festspielfans ist das die Gelegenheit sich an schöne Augenblicke zu erinnern und zu schwelgen.

Seit 2002 standen vor allem große Opern und Musicals auf dem Spielplan. Nicht nur Klassiker wie „Der Troubadour“, „Turandot“ oder „Tosca“ und “Der Freischütz“, sondern auch Uraufführungen fanden und finden ihren Weg auf die Bühne der Domstufen-Festspiele z. B. „Martin L. – Das Musical“ und „Jedermann – Die Rockoper“.

Generalintendant Guy Montavon führte 2009 eine Erweiterung des Spielplans ein. So brachte er „Domino“ als neue Veranstaltungsreihe für Kinder in die Domstufen-Festspiele ein. Jeweils am Vormittag und am Nachmittag ist ein Kinderstück im Rahmen von „Domino“ zu sehen. Die steigenden Besucherzahlen belegen die Akzeptanz und das Interesse an diesem speziellen Kinderprogramm. Inzwischen liege die Auslastung bei 100 Prozent, so das Theater Erfurt. Zum Jubiläum soll es deshalb 21 Vorstellungen geben. Genügend Gelegenheit also für zauberhafte Kinderunterhaltung.


Helaba-Vorstand Klaus-Jörg Mulfinger und Generalintendant Guy Montavon. Copyright: Larissa Gawritschenko, Thomas Janda.

Zu Recht bezeichnete Helaba-Vorstand Klaus-Jörg Mulfinger, während der Eröffnungs-Pressekonferenz, die Festspiele als „ein prägendes Element für die Stadt“ sowie „den Höhepunkt im Erfurter Kultursommer“. Man kann hinzufügen, das sind sie für kleine und große Besucher inzwischen geworden.

In der Ausstellung sind Erinnerungsstücke zu sehen, die zu einem persönlichen Rückblick und einer Spurensuche einladen. Die Schau präsentiert Kostüme und Kulissenelemente. Auch einen kleinen Einblick in die kommende „Carmen“-Inszenierung hat Generalintendant Guy Montavon gegeben. Mit drei prägnanten Antworten bringt Montavon sein Konzept auf den Punkt:

Herr Montavon, Carmen ist wie kaum eine weitere Opernfigur mit Klischees beladen. Wie gehen Sie damit um?

 Die Klischees kommen nicht von ungefähr. Die Handlung spielt in einem ganz konkreten Ambiente, nämlich in Andalusien in Südspanien. Diese Verortung führt leicht zu einer gewissen Folklore. Das ist in Ordnung, aber diese Klischees sind nicht das Stück! Die Bilder von Carmen mit Flamencokleid und Fächer, die man häufig sieht, beschreibt der Autor auf gar keinen Fall. Die Grundaussage ist: Carmen ist eine Frau der besonderen Art. Aber es steht nirgendwo geschrieben, dass sie eine Rose dabei hat, geschweige denn, dass sie besonders schön ist.

Was ist für Sie der wesentliche Aspekt der Handlung?

 Im Wesentlichen ist es eine Oper über Freiheit, dieser Begriff ist wahnsinnig präsent in diesem Werk. Am Ende des zweiten Aktes wird die Freiheit geradezu hymnisch besungen. Carmen ist eine Bohémienne, eine Romanichelle, eine Zigeunerin. Aus der romantisierten Perspektive stehen die Zigeuner, für ein freies, wildes, idyllisches Leben, aber die Realität ist im Gegenteil eher geprägt durch einen steten Freiheitskampf, weil sie ständig verfolgt und unterdrückt wurden.


Intendant Montavon vor dem Carmen-Modell für 2018. Copyright: Larissa Gawritschenko, Thomas Janda.

Ihr Bühnenbild besteht hauptsächlich aus Autos. Wo kommt diese Assoziation her?

 Das hat mit dem Beruf der Zigeuner zu tun, die von jeher ausgesprochen gute Schmiede waren, Eisen und Stahl verarbeitet haben und Beförderungsmittel waren einfach immer ihr Metier. In Frankreich sind bis heute Schrottplätze sehr häufig von Zigeunern betrieben. Daraus ist die Assoziation von Schrottautos entstanden, die zu einem Berg aufgetürmt sind. Das hat etwas Geheimnisvolles, lässt sich künstlerisch toll gestalten und ist vor allem ein starkes Bild für die gesellschaftliche Situation von Carmen und den Schmugglern: Sie sind auf den Müll, in den Dreck abgeschoben.

(Quelle: Theater Erfurt)

Diese neue „Carmen“-Sichtweise sollte sich kein Domstufen-Festspielfan entgehen lassen und wer noch einmal in Erinnerungen schwelgen will, den erwartet eine eintrittsfreie und anregende Ausstellung ab jetzt bis zum 23. August 2018 in der Helaba Landesbank Hessen-Thüringen, Bonifaciusstraße 16, 99084 Erfurt und die Öffnungszeiten sind von 9 bis 17 Uhr.

Hereinspaziert also in die Besichtigung großer Theatermomente in 25 Jahren Domstufen-Festspiele Erfurt, geeignet für alle Fans und solche, die es noch werden wollen.

Larissa Gawritschenko und Thomas Janda

Einige Szenenbilder aus früheren Domstufen-Festspielen:


„Die Lombarden“ (2012). Copyright: Lutz Edelhoff


„Der Freischütz“ (2015). Copyright: Lutz Edelhoff


„Cavalleria rusticana“ (2002). Copyright: Lutz Edelhoff

Beziehungsmuster und Sprachspiele im Gesamtkunstwerk „Der Rosenkavalier“. Von Oswald Panagl

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Oswald Panagl attachiert einen Rosenkavalier-Essay, den sich Brigitte Fassbaender für das Programmheft ihrer Inszenierung im Festspielhaus Baden-Baden von ihm gewünscht hat.

Beziehungsmuster und Sprachspiele im Gesamtkunstwerk

„Der Rosenkavalier“

Bildergebnis für silberne rose

 

  1. „Beieinand für alle Zeit und Ewigkeit!“

Momente und Horizonte emotionaler Biographien

„Die Zeit, die ist ein sonderbar Ding“: Dieser Satz zählt schlechthin zu den bekanntesten Opernzitaten, er ist über ein Jahrhundert beinahe zum geflügelten Wort geworden, ja gilt gleichsam als ästhetische Signatur einer Gestalt, eines Werkes, sogar einer Epoche. Die Marschallin, die ihren berühmten Monolog singt, räsoniert darin über die Ambivalenz einer Bewusstseinskategorie, in die jeder Mensch eingebettet ist, der er nicht entrinnen kann, sondern sich fügen muss. Sie ist Begleiterscheinung, vielmehr Grundbedingung des menschlichen Lebens; ihr Verstreichen bei jeglichem Tun und Lassen bleibt zumeist unbemerkt, und so wird man ihrer erst in besinnlichen Momenten, besonderen Befindlichkeiten und an Schnittstellen der Biographie gewahr. Doch die Protagonistin will manchmal in das Rad des Geschehens eingreifen und lässt in der Nacht alle Uhren stehen: Das Geschöpf schwingt sich zum Schöpfer auf, so wie ein Meteorologe, der das Wetter gestalten will, anstatt es bloß zu verkünden.

Der Erfinder dieser markanten Bühnenfigur, in der sich seit jeher viele nachdenkliche Frauen wiederfanden, unterscheidet dabei unausgesprochen nach altgriechischem Muster zwischen kairós, dem erfüllten Augenblick, und chrónos, der Zeitspanne oder dem Lebensabschnitt. Dabei ist die – im doppelten Wortsinn – Betroffene keineswegs eine alternde Dame, und das Ende ihrer Beziehung mit dem jungen Galan bedeutet keine wirkliche Zäsur, vor allem aber über den momentanen Trennungsschmerz hinaus keine nachhaltige Katastrophe. Richard Strauss selbst schreibt bekanntlich selbst zu ihrer Physiognomie: „Die Marschallin muß eine junge schöne Frau von höchstens 32 Jahren sein […] Octavian ist weder der erste noch der letzte Liebhaber der schönen Marschallin, die auch ihren ersten Aktschluß durchaus nicht sentimental als tragischen Abschied fürs Leben spielen darf, sondern immer noch mit wienerischer Grazie und Leichtigkeit, mit einem nassen und einem trockenen Auge.“

Der Aufschlusswert des Zeitbegriffs reicht über diese Szene und das Sujet hinaus. Denn in der Tat prägt dieser Sachverhalt auch die Entstehungsgeschichte und Produktionsästhetik des ganzen Werkes. Der Komponist war nach dem epigonalen „Guntram“ aus dem starken Schlagschatten Richard Wagners getreten, hatte dessen Leitmotivtechnik verfeinert und seine Tonsprache in „Salome“, vor allem aber „Elektra“ zugespitzt und bis an die Grenzen zur Atonalität radikalisiert. Mit dem „Rosenkavalier“ wollte der Musiker eine Tendenzwende einleiten, geradezu einläuten, um damit seinem anderen künstlerischen Hausheiligen Wolfgang Amadé Mozart Reverenz zu erweisen. Der schlichte, fast volksliedhafte Tonfall des Schlussduetts mag dieses Vorhaben bestätigen, doch erweisen und illustrieren zahlreiche Einzelpassagen, ja demonstriert letztlich die ganze Partitur mit ihrer avancierten Kontrapunktik, mit chromatischen Einsprengseln und schillernden Orchesterfarben, dass Strauss das einmal erreichte klangliche Idiom allenfalls modifiziert, aber nicht über Bord wirft. Wenn Komponist und Textdichter ihr neues Vorhaben im Briefwechsel als das „Figaro“-Projekt chiffrieren, so spielen sie auf Merkmale des Plots wie Intrige und Blamage, weiters Liebesgeschichten und Heiratssachen an, ohne sich deshalb in ein rückschrittliches Fahrwasser zu verirren.

Zeit als Ordnungsprinzip, besonders in der Lesart des gesuchten Anachronismus, kennzeichnet auch die Dramaturgie des Stücks und seine Regieanweisungen. Hofmannsthal situiert die Handlung „im ersten Jahrzehnt Maria Theresias“, worauf sich zudem die Namensform Marie Theres der Fürstin Werdenberg bezieht. Doch zahlreiche szenische Einzelheiten deuten auf eine spätere Epoche, sogar auf die Entstehungszeit des Librettos, wie auch der Komponist mit der Allgegenwart des Walzers einen bewussten musikalischen Stilbruch begeht. Überhaupt sind Textbuch und Partitur nicht zuletzt in der Nebenbedeutung des Wortes ein ‚Kunst-Werk‘, ein Artefakt also, in dem die Realität zwar nicht ausgeblendet ist, aber vielfach gebrochen, gefiltert, getönt und verschnitten wird. Bisweilen wirkt das Ergebnis dieses schillernden Verfahrens geradezu paradox: Scheinbar erfundene Namen wie Rofrano oder Valzacchi hat der Dichter auf Reisen notiert oder von Firmenschildern abgelesen. Ein authentisch wirkender Brauch wie die Überreichung der silbernen Rose ist hingegen, wie der Autor betont, reine Erfindung. Sogar in der Rezeptionsschneise der literarischen Vorlagen haben sich die beiden Schöpfer manches kreativ anverwandelt. So erinnert die Dialektik von Tag und Nacht oder die Verschmelzung der Identitäten („das Zudirwollwen, das Dichumklammern, das bin ich, das will zu dir, aber das Ich vergeht in dem Du“) in der Anfangsszene nur allzu deutlich an den Liebesdiskurs im zweiten Aufzug von „Tristan und Isolde“. Und wenn die Duenna Marianne Leitmetzerin im zweiten Akt aufgeregt vom Eintreffen des Brautwerbers berichtet („aus ’m Seminari schaun die Hochwürden von die Balkoner. Ein alter Mann sitzt oben auf der Latern‘.“), lässt der Librettist durchblicken, dass er seinen Homer kennt und das Genre der Mauerschau schöpferisch verinnerlicht hat.

Auch in das Profil der Personen haben die beiden Autoren quasi wohlüberlegte Spontaneität investiert. Sie geben ihre Figuren nicht voreilig und wohlfeil preis, lassen vielmehr Konturen verschwimmen und legen gemeinsame Züge frei. So schreibt Hofmannsthal programmatisch: „Die Musik ist unendlich liebevoll und verbindet alles: ihr ist der Ochs nicht abscheulich – sie spürt, was hinter ihm ist, und sein Faunsgesicht und das Knabengesicht des Rofrano sind ihr nur wechselweise vorgebundene Masken, aus denen das gleiche Auge blickt.“ Am Beispiel des deftigen Barons, für den Dichter „ein rusticaler, in Falstaff steckengebliebener kleinadliger Don Juan“, aber wird klar, wie sich das Typenarsenal der Operngeschichte in diesem Stück spiegelt. Selbst im sprachlichen Detail und seiner musikalischen Umsetzung offenbart sich die subtile Ausleuchtung der Charaktere und Situationen. So lohnt etwa die genaue Beobachtung, wann und in welcher Stimmung die Marschallin ihren Liebhaber mit Quinquin, Octavian oder Rofrano anredet, weiters wie die Protagonisten vom vertrauten Du zum förmlichen Er oder Sie übergehen, was im zweiten Teil dieses Essays näher ausgeführt wird.

Die friktionsreiche Zusammenarbeit zwischen Dichter und Komponist erhellt aus ihrer Korrespondenz „in der Werkstatt“. Strauss verlangte von „seinem Daponte“ nicht selten drastischere, ja derbere Szenen und spornte seinen Pegasus zur Eile an. Im Fall des Schlussduetts hatte er sogar schon vorweg eine eingängige Melodie gefunden, zu der sein Partner gefälligst die passenden Worte nachliefern sollte. Dieser wieder beschwerte sich sogar immer wieder, dass der laute „Musikpanzer“ die Nuancen seiner feingesponnenen Dialoge zudeckte. Er wies der Tonsprache aber immerhin die semantischen Leerstellen im Miteinander der Figuren zu: „Sie gehören alle zueinander, und was das Beste ist, liegt zwischen ihnen; es ist augenblicklich und ewig, und hier ist Raum für Musik.“ Sein „Ungeschriebenes Nachwort zum Rosenkavalier“ jedenfalls stellt das erreichte Resultat vor und über die Schlacken seiner Genese: „Ein Werk ist ein Ganzes und auch zweier Menschen Werk kann ein Ganzes werden.“

Ich kehre am Ende zur Thematik der Zeit zurück und verweise auf das kurze Schlussduett, in dem die besorgte Reflexion des Monologs der Marschallin überwunden und – in der notorisch doppelten Lesart des Wortes – aufgehoben ist: „Ist ein Traum, kann nicht wirklich sein, daß wir zwei beieinander sein, beieinand für alle Zeit und Ewigkeit!“

 

  1. „Marie Theres, wie gut Sie ist!“

Zu den Anredeformen im „Rosenkavalier“

 

  1. Zwischen Imagination und Realität

            In seinem gern zitierten Geleitwort zum „Rosenkavalier“ bespricht Hugo von Hofmannsthal auch die Zielvorstellung, die ihn bei der Erfindung des Ambientes und der Gestaltung der Charaktere geleitet hat: „Dahinter war der geheime Wunsch, ein halb imaginäres, halb reales Ganzes entstehen zu lassen, dies Wien von 1740, eine ganze Stadt mit ihren Ständen, die sich gegeneinander abheben und miteinander mischen, mit ihrem Zeremoniell, ihrer sozialen Stufung, ihrer Sprechweise oder vielmehr ihrer nach den Ständen gestuften Sprechweisen, mit der geahnten Nähe des großen Hofes über dem allen, mit der immer gefühlten Nähe des Volkselementes.“ Und wenig später kennzeichnet der Dichter das besondere Idiom seines Librettos als „eine Sprache, durch welche jede Person zugleich sich selbst und ihre soziale Stufe malt, eine Sprache, welche in dem Mund aller dieser Figuren die gleiche ist […] und doch im Mund jeder Figur eine andere […]“. Dieses komplexe Sprachthema in der Fülle seiner Variationen, dieses farbenreiche verbale Spektrum ließe sich an verschiedenen Merkmalen festmachen und illustrieren: an leibeigenen Redewendungen, an Fremdwörtern oder zitierten Einsprengseln aus dem Italienischen und Französischen, an Grußformeln, aber auch am Tonfall im Spannungsfeld von Hochsprache und Dialekt. Wenn ich in der Folge zwei andere sprachliche Eigenschaften des „Rosenkavalier“-Textes etwas näher betrachte, nämlich den Wortlaut und die grammatischen Formen der Anreden, so folge ich damit einer vorgegebenen Spur (Andreas Razumovsky, William Mann) und kann mich auf den Dichter selbst berufen. Denn für ihn ist die Beziehung, die Verbindung zwischen den handelnden Personen wesentlich. Sie erscheint ihm – in Worte gefasst oder unausgesprochen geblieben – wichtiger als alle Spielarten des Redens und Agierens. Und fraglos gehören die Eröffnung eines Gesprächs, die Bezugnahme auf das Gegenüber sowie der Grad von Nähe oder Distanz zu den entscheidenden Momenten im zwischenmenschlichen Kontakt.

 

  1. Graf Rofrano oder Quin-quin?

            Von Octavian, dem jungen Grafen Rofrano, erfahren wir aus dem Munde Sophies nach der Rosenüberreichung das vollständige Namenregister: Octavian Maria Ehrenreich Bonaventura Fernand Hyazinth. Dazu kommt noch der Kose- und Spitzname Quin-quin (von Hofmannsthal entlehnt und nicht erfunden!): „So nennen ihn halt seine guten Freund und schöne Damen, denk ich mir, mit denen er recht gut ist.“ Und in der Tat spricht die Marschallin am Morgen nach der Liebesnacht ihren jungen Freund mehrmals auf diese zärtliche Weise an, wenn sie ihn nicht überhaupt mein Bub oder Herr Schatz nennt. Wenn sie nach dem Lever auf ernstere Gedanken kommt und über das Leben räsoniert, vermeidet sie diese Anreden, gebraucht aber immerhin noch die Intimform Taverl. In der Phase der Trennung und Entfremdung der beiden im dritten Akt stellt sich auch in der Anrede kühler Abstand ein: Octavian wird für die Marschallin zu mon cousin und Rofrano. Umgekehrt apostrophiert der junge Liebhaber die reife Frau in der Liebesszene als mein Schatz, Bichette (im Gegenzug zu Quin-quin), aber auch als Theres oder Marie Theres. Diese beiden Namensformen behält Octavian auch im Schlussbild bei, als sinnfälligen Ausdruck seines schweren Abschieds von der geliebten Frau. Eine andere Intimvariante, Resi, gebraucht nur die Marschallin selbst, wenn sie resignativ über den Lauf der Welt nachdenkt („die kleine Resi – die alte Fürstin Resi„). Für alle anderen Figuren einschließlich Sophie und Ochs ist die Marschallin so sehr Respektsperson, dass sie nur mit einem Titel angesprochen wird (Euer Gnaden, Fürstliche Gnaden).

            Ochs auf Lerchenau firmiert für das Personal in beiden Häusern, aber auch für das Intrigantenpaar als Euer Gnaden, Herr Baron, Ihre Gnade usw. Die Marschallin zeichnet ihn als mein lieber Vetter und Euer Liebden aus, dem sich im zweiten Akt auch Octavian anschließt, der seinerseits von Ochs respektvoll mit Cousin Rofrano oder Vetter angesprochen wird. Das kostümierte Mariandel tituliert den Schwerenöter im fingierten Brief als Herr Kavalier. Die volle Namensform des Barons (Leupold Anton von Lerchenau) erfahren wir nur, wenn die als seine Ehefrau verkleidete Annina im Gasthaus auf ihn Beschlag legt und mit diesem Wortlaut ihren Anspruch gleichsam autorisiert. Besonders krass ist das Gefälle im Umgang des Ochs mit seinem Schwiegervater in spe. Der Baron nennt ihn salopp-herablassend mit seinem Familiennamen Faninal und lässt sich selbst quasi gnadenhalber als Herr Schwiegersohn anreden. Als dem um Ruf und Ansehen geprellten Neureichen im dritten Akt der Kragen platzt, hat er für den Verursacher seines verwirkten Prestiges freilich nur noch ein verächtliches „Er Filou“ übrig. Sophie, die junge Braut, wird von Octavian entweder bei diesem Namen oder im höflichen Konversationston ma cousine genannt. Als Ochs sie nach der Intimität mit Octavian zur Rede stellt, versieht er sie bloß mit der bagatellisierenden Anrede Mamsell. Aber auch die Duenna Marianne Leitmetzerin lässt Kritik an ihrem Schützling erkennen, wenn sie das anspruchsvolle, über die Manieren ihres Bräutigams empörte Mädchen mit Jungfer Hochmut anspricht.

            In der behutsamen Nähe des Schlussduetts fehlt jegliche Anrede. Das zart umgreifende wir zwei, das Sophie und Octavian sprachlich einschließt, ist sich der neuen Gemeinsamkeit so gewiss, dass alle kommunikativen Signale wegbleiben dürfen.

 

  1. Du und Er, Ihr und Sie

            Ein Blick auf die Sprachgeschichte des Deutschen lässt als grammatische Ausdrucksformen der Anrede vier Möglichkeiten erkennen. Das vertraulich-intime Du, das Abstand schaffende oder despektierliche Er/Sie sowie der ehrerbietig-höfliche Plural in der zweiten (Ihr) oder dritten Person (Sie), der letztlich auf den Umgang mit der Obrigkeit bzw. den Verkehr von Majestäten untereinander zurückgeht. Von dieser Vielzahl der formalen Möglichkeiten hat die Gegenwartssprache nur noch die Alternative des trauten Du und des distanzierten Sie bewahrt. Die vorgestellte Welt von Hofmannsthals Libretto vermittelt uns gleichsam ein Zwischenstadium dieser Varianten. Das ‚Ihrzen‘, also die zweite Person Plural als Respektform für eine Einzelperson, spielt keine Rolle, während das ‚Duzen‘, ‚Erzen‘ und ‚Siezen‘ in typischer Verteilung auftritt.

            Als Standardform zwischen annähernd gleichgestellten Persönlichkeiten dient die dritte Person Singular, also das Er und Sie. Es ist dies der wechselseitige Umgangston zwischen der Marschallin und Ochs, zwischen diesem und Sophie sowie Faninal, der seinerseits mit Octavian auf dieser Ebene umgeht. Selbst zwischen Vater und Tochter herrscht diese Anrede vor.

            Das Du ist die selbstverständliche Kommunikationsform der „Domestikentür“ und der Lieferantenstiege, mitunter auch im Befehlston der Obrigkeit an das Gesinde („Laufts dem Herrn Grafen nach und bittets ihn noch auf ein Wort herauf.“). Die Dienerschaft bedient sich untereinander dieser zwanglosen Form, das kostümierte Mariandel lädt mit einem deftigen „Derfts eina gehn!“ zum Lever, und auch Annina wirbt mit einem wiederholten „verstehts?“ beim Faninalschen Personal um Interesse für ihre Entdeckung von Sophie und Octavian in flagranti. Dass Marianne Leitmetzerin – und nur sie – Sophie stets duzt, ist ein Zeichen besonderer Nähe zu dem Mädchen, das sie offenbar fast wie eine Mutter durchs Leben geleitet hat.

            Das Siezen ist im Libretto des „Rosenkavalier“ der Anrede höhergestellter Personen vorbehalten und setzt damit den alten Majestätsplural fort: So redet der Haushofmeister seinen Herrn, der Wirt den Baron, aber auch Mariandel ihren Galan an („Sie ham mir schon gefallen“ im Brief, „O Sie schlimmer Herr“ im Wirtshaus). Wenn dieser Plural bisweilen auch unter Standespersonen – z.B. zwischen der Marschallin und Ochs – Verwendung findet, so sind dafür rein formale Gründe verantwortlich: Die Umschreibung Euer Gnaden oder Euer Liebden, die übrigens auf ein altes ‚Ihrzen‘ zurückgeht, lässt gar keine andere sprachliche Wahl.

            Von besonderem Interesse, da als poetisches Mittel auch dramaturgisch genützt, sind jene Szenen, in denen sich Anrede und Umgangston plötzlich ändern. Hinter der Variation steht jedenfalls stets eine künstlerische Absicht, die veränderte Form reflektiert einen anderen Inhalt.

            Wenn Ochs im Hause des Faninal seinen an Jahren jüngeren, aber höhergestellten Brautwerber Octavian plötzlich duzt, so hat dies entweder den Anstrich plumper Vertraulichkeit („Hab nichts dawider, wenn Du[1] ihr möchtest Augerln machen, Vetter“) oder an späterer Stelle von verächtlicher Überlegenheit („Wart, wenn ich Dich erwisch“), in die auch der Anhang des Barons einfällt.

            Ein anderer sukzessiver Übergang von der dritten zur zweiten Person charakterisiert die spontane Sympathie zwischen Sophie und Octavian. Bei der Überreichung der silbernen Rose und in der anschließenden Konversation wird die Etikette noch strikt eingehalten. Als Sophie den jungen Kavalier um Hilfe gegen ihren ungehobelten Bräutigam bittet, behält sie sprachlich Abstand, während Octavian spontan und unvermittelt in das Du übergeht („Mit Ihren Augen voller Tränen kommt Sie zu mir… Mir so selig, so eigen, daß ich Dich halten darf … Spürst Du’s, so wie ich?“). Nach der vorübergehenden Trennung der beiden und durch die befremdlichen Vorgänge im Wiener Vorstadtbeisel des dritten Aktes hält bei der Wiederbegegnung der beiden ‚vor Publikum‘ Octavian zunächst die frühere Distanz ein („Eh bien, hat Sie kein freundlich Wort für mich?“). Selbst das Liebesgeständnis („Ich hab Sie übermäßig lieb“) verbleibt noch in der Konvention, ehe sich im Terzett die schon errungene Nähe wieder einstellt („Dich hab ich lieb.“). Das abschließende Duett lässt endlich beide Partner der neuen Verbindung einhellig zum Du finden: „Spür nur Dich allein …“.

 

            Den Weg in die andere Richtung geht die Beziehung Octavians zur Marschallin. Hier herrscht auf dem Höhepunkt des Einverständnisses am Beginn der Oper das „Du“ und wird eher kokett gelegentlich ausgesetzt: „Er Katzenkopf, Er unvorsichtiger!… Hat Er keine besseren Gepflogenheiten?“ Als die Marschallin nach dem Lever in wehmütige Gedanken verfällt und Octavians Zärtlichkeiten zurückweist, wechselt mit der labilen Stimmung auch die grammatische Person („Du weißt ja, wie ich bin“ … „Sei Er doch gut, Quin-quin.“) Schließlich greift auch Octavian diesen formalen Umgangston auf und die beiden beenden den Dialog im konventionellen Abstand („Sei Er jetzt gut und folg Er mir.“ – „Wie Sie befiehlt, Bichette.“). Bei ihrem unverhofften Auftritt im dritten Akt sieht die Marschallin ihre Befürchtungen für die Zukunft bereits erfüllt: Sophie und Octavian sind auf dem Weg, ein Paar zu werden. Zwischen der reifen Frau und ihrem jungen Liebhaber stellt sich wieder die gesellschaftlich gebotene Redeweise ein. Die Marschallin wählt sogar den Familiennamen, um Octavian ihre Haltung zu bedeuten („Find Ihn ein bißl empressiert, Rofrano.“) Aber auch dieser kann selbst im warmen Tonfall des Dankes nicht mehr zum trauten Du zurückfinden: „Marie Theres, wie gut Sie ist!“ Beide haben es verstanden und angenommen, „wenn eine Sach ein End hat.“

[1] In den Textausgaben werden die Anredeformen Sie bzw. Er meist groß geschrieben, das Du hingegen klein. Im Sinne einer Vereinheitlichung bzw. um diese Pronomina hervorzuheben, habe ich mich in allen Fällen für eine Großschreibung entschieden.

 

MUSIKTHEATER bei den Wiener Festwochen 2018 – ist ‚Hochkultur‘ nun abgeschafft?

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MUSIKTHEATER bei den Wiener Festwochen 2018  – ist ‚Hochkultur‘ nun abgeschafft?

Ganz und gar nicht festlich – so haben die Wiener Festwochen 2018 musikalisch geklungen. Und Feststimmung ist in all den fünf Wochen keine aufgekommen. Das ganze Angebot an den diversen zumeist kleineren Events mit fast ausschließlich aus dem Ausland engagierten Künstlern und Ensembles wirkte an den kulturellen Rand gerückt und ist gleichsam unbemerkt vorbei gezogen. Ist es als eine seriöse Suche nach einer neuen Geistigkeit oder doch nur als eine nicht geglückte politische Rochade anzusehen? Die aus politischen Motivationen begonnene Umstrukturierung der von der Stadt hoch dotierten Wiener Festwochen durch Intendant Tomas Zierhofer-Kin und die Ausschau nach einem neuen Publikum mit Blickrichtung nach noch nicht kulturell belasteten jüngeren Menschen ist jetzt auch beim zweiten Anlauf unbefriedigend geblieben: Von eigenschöpferischer Kreativität war nichts zu merken; es sind in Koproduktionen eingekaufte kurz gastierende Ensembles gewesen; und der Großteil des interessierten früheren Wiener Publikums hat sich bereits abgemeldet.

Bemühte Sozialkritik prägte die meisten dieser Gastspiele. Dazu gehört für die neue Zielgruppe wohl nicht klassischer Wohlklang, sondern Sound, sehr lauter, die Ohren quälender und ständig repetierender Computersound – solch einer ist fast immer zu hören gewesen. Am ersten Abend ist eine Synthesizer-Kampfmannschaft aus Manchester mit toll aufgebauschter Sound & Optik-Equipe angetreten. Statt Musik heißt es nun eben Sound. Oder auch: Ton, Klang, Elektronik, Soundtrack, Electric …. wie auch immer. Und für den Sound der Installation „micro/macro – the planck universe“ des Japaners Ryoji Ikeda mit hochfrequenten Tönen ist die Warnung gekommen: “ …. dies könne unter Umständen epileptische Anfälle auslösen“. War wohl ironisch gemeint. Denn es dümpelte gleichförmig dahin. In der Outsourcing-Performance „Deep Present“ der Koreanerin Jisun Kim ertönte kurz Richard Strauss‘ „Zarathustra“-Trompetengeschmetter. Schnell wieder vorbei – mit stereotypen Maschinenklängen ist es belanglos weiter gegangen.

Überwiegt haben Produktionen oder Performances, in denen Klangteppiche doch stark dominierend gewesen sind: Die Neuinterpretation von Aischylos´ „Die Orestie“ durch das Hamburger Thalia-Theaters untermalten ein andauerndes leise Gesäusel oder simpler archaischer Sprechgesang. Langatmig präsentierte sich Christoph Marthalers singende Spielgemeinde in „Tiefer Schweb – Ein Auffangbecken“ in gewohnter, doch nun bereits stark ausgereizter Manier. Durchaus  unterhaltsam und dabei schräg konnte das Anarcho-Tierpuppen Musical „The 2nd Season“ mit internationalen Wurzeln und Funk-Posaunist Fred Wesley gefallen. Zum Abschluss hat es aber doch noch eine richtige Oper gegeben. Allerdings in asiatischem Format: koreanisch. Wer sich dem hochintensiven Sprechgesang mit den andauernden grellen Aufschreien hingeben konnte, durfte eine durchaus berührende Aufführung von „Trojan Women“ erleben. „Die Troerinnen“ des Euripides in der Version von Jean-Paul Sartres, von der National Changgeuk Company of Korea in modernem Gewand, doch der Tradition koreanischen Musiktheaters folgend, in strengem Stil und mit starker Aussage als wahre griechische Tragödie konzipiert.  

Dazwischen einmal ausnahmeweise nicht ständig repetierender Computersound, sondern Franz Schuberts Liederzyklus „Winterreise“ in der Orchesterfassung von Hans Zender – gar nicht erbaulich oder vergeistigend, wenn Regisseur Kornél Mondruczó zu „Fremd bin ich eingezogen, fremd zieh ich wieder aus“ oder „Gefrorene Tränen“ Filmeinspielungen von Flüchtlingslagern und -strömen oder aktuelle deprimierende Momentaufnahmen vorführen lässt. Und mit ausschließlich in Zeitlupentempo ausgeführten Massen-Beziehungsstudien hat Gisèle Viennes Tanzstück „Crowd“ ermüdet, endlos lang auf erdigem Boden in den alten Gösserhallen als interessante neue Spielstätte in einem Randbezirk vorgeführt. Hier hat alles den Anstrich von Workshop-Charakter gehabt. So auch „A Dancer´s Day“ von Boris Charmatz und dessen Musée de la Danse. Höhepunkt, vielleicht: Ein splitternackter älterer Boy hüpft, kriecht, posiert gestikulierend zwischen dem am Boden kauernden Publikum herum, zeigt plaudernd vor, wie man sich irgendwie tänzerisch bewegen kann. Als Abschluss dann ein Dancefloor mit Electric Indigo. 

Ein heikles Resümée dieser von der Presse schwer kritisierten Wiener Festwochen 2018: Ein Aufbrechen in Neues ist angesagt – wie gelingt es der eingeschlagenen Kulturpolitik der Stadt, ein jüngeres, nur wenig oder kaum mehr gebildetes Publikum anzulocken, damit es hier mit aktuellem Kunstschaffen oder zeitgeistigen Kulturaktivitäten in Berührung kommt. Distanzen sollen überwunden werden, Sozialpopulismus ist angesagt. Für diese Zielgruppe scheint das langjährige Modewort ‚Hochkultur‘ abgeschafft. Doch Nachhaltigkeit scheint es zur Zeit mit den bis jetzt mit großem finanziellen Aufwand angebotenen Kunstpetitessen keine gegeben zu sein – aber vielleicht geht dieses Konzept mit der Zeit noch auf.

Meinhard Rüdenauer

 


APROPOS: Ein durch und durch frei phantasiertes Szenario

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Ein durch und durch
frei phantasiertes Szenario

Man kann sich ja etwas vorstellen. Etwa, wie etwas gelaufen sein könnte. Reine Erfindung, keine Recherche. Bloß eine geringe Kenntnis darüber, wie Dinge in Österreich gehandhabt werden.

Da kommt ein Abgesandter, wer immer sich diesen sauren Job aufgelastet hat, zum Noch-Intendanten der Wiener Festwochen, die eben mit Ach und Krach zu Ende gehen.

„Hör mal“, sagt er, „solche Festwochen, solche Programme schauen wir uns nicht noch einmal an. Dein Vertrag geht zwar noch über drei Jahre, da wird sich finanziell schon was regeln lassen. Natürlich nur, wenn Du sagst, dass Du von selber gehst, also der Kulturstadträtin ‚den Vorschlag’ der einvernehmlichen Vertragsauflösung unterbreitest. Dann wahrst Du noch Dein Gesicht. Duck Dich ein bisschen und nimm ein bisschen ‚Schuld’ auf Dich, aber beschimpfe keinesfalls das Publikum.“

Und, aber das muss er wohl nicht hinzufügen, spiel’ ja nicht die Karte der „Rechtslastigkeit“, die an allem schuld ist, wie es der ebenfalls sehr erfolglose Direktor der Wiener Kunsthalle bei seinem freiwilligen (?) Rücktritt getan hat (Er sieht die Wirkungsmächtigkeit von Kunst in Zeiten der „nationalistischen Politik in Österreich“ und der momentanen „europäischen Situation“ als stark eingeschränkt, Zitat nach der „Presse“) – Du hast es schließlich mit einer tiefroten Stadtregierung zu tun, wo alles offen, links, demokratisch, fortschrittlich, menschenfreundlich und weiß Gott (weiß der Sozialismus) noch alles ist. Klar?

Wer weiß, wo der Bartl den Most holt, der geht darauf ein. Die neue Kulturstadträtin kann – indirekt – zeigen, dass sie mit den Fehlentscheidungen ihres Vorgängers aufzuräumen gedenkt. Da wird sie noch genug zu tun haben. Der Fall Anna Badora im Volkstheater ist leichter, da muss das Publikum nur noch zwei Jahre durchstehen, dann wird sich die gegenwärtige Direktorin nach eigenen Angaben nicht um eine Verlängerung bewerben. Na also. (Falls sie nicht – wie manch anderer auch – nach dem flotten Adenauer-Motto handelt: Was gebe ich auf mein Geschwätz von gestern.)

Was ist jetzt zu tun? Jetzt braucht es sehr viel Klugheit, Geschicklichkeit und Beurteilung von Persönlichkeiten hier, Erwartungen dort, um die Wiener Festwochen zurück zu pendeln: In ein Festival mit selbstverständlich modernem Anstrich, aber dennoch genügend Glanz und Anreiz, damit ein Publikum bereit ist, hinzugehen und dafür zu bezahlen.

Renate Wagner

ERWARTETER ABSCHIED – ZUR TRENNUNG DER WR. FESTWOCHEN VON TOMAS ZIERHOFER-KIN

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ERWARTETER ABSCHIED – ZUR TRENNUNG DER WR. FESTWOCHEN VON TOMAS ZIERHOFER-KIN

(Heinrich Schramm-Schiessl)

Eigentlich ist spätestens seit dem Interview mit der neuen Wiener Kulturstadträtin Veronica Kaup-Hasler im Mittagsjournal am vergangenen Samstag erwartet worden, dass der Vertrag mit Festwochenintendant Thomas Zierhofer-Kin gelöst werden wird. Frau Kaup-Hasler meinte nämlich, dass, wenn sie mit der Leitung einer Institution für die sie verantwortlich ist, nicht zufrieden ist, die Politik zum handeln gezwungen ist. Und dass sie mit ihm nicht zufrieden ist, war klar, hat sie sich doch seinerzeit selbst für diese Position beworben und somit sicher ziemlich klare Vorstellungen über die Ausrichtung. Diese dürften offenbar jenen von Zierhofer-Kin diametral entgegengesetzt sein. Was ich allerdings nicht erwartet habe war, dass das so schnell passiert, also noch bevor die Auslastungszahlen dieses Jahres vorliegen. Ich möchte jetzt nichts über die  künstlerische Ausrichtung schreiben, das hat Kollegin Wagner in nahezu aufopfernder Vollständigkeit in den letzten beiden Jahren getan, sondern über seine Grundkonzeption. Er wollte – und hatte dazu wahrscheinlich den politischen Auftrag – eine neues und, wie er ausdrücklich betonte, junges Publikum gewinnen. Allerdings, so wie er es angelegt hat, nämlich das bisherige (treue) Publikum einfach mit einem „Schockprogramm“ zu vetreiben und zu hoffen, dass bei den „Neuen“ sofort die gleiche Anteilnahme da ist, konnte es einfach nicht funktionieren. Er hätte hier behutsam vorgehen und auf zwei Schienen fahren müssen. Einerseits mit einem Programm wie bisher die „Alten“ bei der Stange halten und mit einem Alternativprpgramm auf die gewünschte neue Publikumsschicht zugehen. So etwas gab es nämlich früher schon öfter, z.B. Anfang der 1970er-Jahre die Arena und später das Clown-Festival. Sein größter Fehler war sicher die Aufkündigung der Zusammenarbeit mit den beiden grossen Wiener Konzertveranstaltern (Gesellschaft der Musikfreunde, Konzerthausgesellschaft), auch wenn zugegebenermaßen in  den letzten Jahrzehnten kaum mehr ein inhaltlicher Gleichklang gegeben war. Ich finde die Entscheidung der Kulturstadträtin jedenfalls politisch durchaus mutig, denn aus dem linken Eck der Kultrucommunity wird es sicher Proteste geben. Wer immer jetzt Zierhofer-Kins Nachfolger wird, sie/er hat die Aufgabe, wieder Festwochen für alle Publikumsschichten zu machen. Ganz wichtig wäre es auch, die besagten Konzertveranstalter wieder ins Boot zu holen und vielleicht auch wieder eine inhaltliche Zusammenarbeit mit diesen zustande zu bringen.

Heinrich Schramm-Schiessl

WIEN/Staatsoper PUBLIKUMSGESPRÄCH mit Direktor Meyer

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„Bewerben Sie sich für unseren Chor, wir benötigen Nachwuchs!“ scheint Direktor Meyer zu sagen, aber es scheint nicht nur so, er meint es im Ernst. Die Nachwuchssuche ist angelaufen! Foto Copyright PSkorepa

PUBLIKUMSGESPRÄCH vom 19.6.2019

In schlagwortartiger Aufzählung der angeschnittenen Inhalte durch Manfred A. Schmid

 

Publikumsgespräche mit Operndirektor Dominique Meyer (flankiert von Kaufm. Direktor Thomas Platzer, der aber still blieb und nur hie und da bekräftigend mit dem Kopf nickte) verlaufen, wie könnte es anders sein, sehr ruhig und finden in einer freundlichen Atmosphäre statt.

Drei Jahres Budget

Zunächst beklagte sich Die. Meyer etwas darüber, dass die bürokratischen Auflagen der vorgesetzten und kontrollierenden Gremien immer mehr Zeit und Energie in Anspruch nehmen. Letztes Bespiel: das Erfordernis, ein Drei-Jahres-Budget zu erstellen und dabei (erst im Mai publik gemacht) 9 Mio, und z. T. rückwirkend, einzusparen.

Forderung zur Preisgestaltung bei Stehplatz und Garderobe

Verlangt wurde auch unter Anderem eine Anhebung der Stehplatz-Kartenpreise und eine Wiedereinführung der Garderobe-Gebühren, was Meyer erfolgreich abwenden konnte.

Rechnungshofbericht

Meyer ging nur kurz darauf ein und meinte, sich vom Bericht fair behandelt zu sehen. Bekrittelte nur, dass die letzte RH-Prüfung im Jahr 1973 (!) stattgefunden hat. Kürzere Abstände würden ein rascheres Reagieren ermöglichen. Außerdem habe er bei Dienstantritt vor 8 Jahren viele Bräuche, die jahrzehntelang üblich waren, einfach übernommen.

Kartenpreisgestaltung

Die Forderung nach einer „dynamischen Preisgestaltung“ (dynamic pricing), d.h. bei „Stars“ auf der Besetzungsliste die Kartenpreise deutlich anzuheben, habe er mit guten Gründen abgelehnt. Etwa mit dem Argument, was passiert, wenn einer der Stars kurzfristig absagt. Außerdem habe auch das Stammpublikum ein Anrecht darauf, sich Vorstellungen mit den bestmöglichen Besetzungen im Rahmen der üblichen Preisgestaltung leisten zu können.

Rückschau auf die zu Ende gehende Saison

Rund 600.000 Besucher in Opernvorstellungen pro Jahr. Rund von 260.000 Personen besuchte Führungen.

TECHNIK: Hinweis auf die Installierung des neuen Textsystems auf Tablets mit 6 Sprachen. Beleuchtung im Zuschauerraum neu. Kameraanlage für Liveübertragung nach außen erneuert (von Sponsoren finanziert).  Websiteauftritt verbessert.

Renovierung der historischen Bausubstanz. Im Sommer kommt das Schwind-Foyer dran und die Loggia. Das alles sollte bis November dieses Jahres abgeschlossen sein.

Verweis auf die gute Kooperation mit dem ORF – Chance auf mehr Opernübertragungen.

Mit dem Ensemble, dem Chor und dem Ballett (letzteres auf eine Frage aus dem Publikum, weil er es ins einem Rückblick zunächst vergessen hatte zu erwähnen) zeigte er sich sehr zufrieden. Beim Chor komme das Problem auf ihn zu, dass es in den nächsten Jahren vermehrt Pensionsantritte geben werde. Eine Werbekampagne für Interessenten an einer Choristen_Innen-Laufbahn ist angelaufen und trägt schon erste Früchte. (siehe Bild)


Bevorstehendes 150-jähriges Jubiläum

Die Eröffnung des Jubiläums mit Frau und Schatten sowie einem Großkonzert am Karajan Platz mit Einbindung der umliegenden Gebäude als Veranstaltungsorte. Dafür wird es ausnahmsweise eine Sperrung des Rings geben. Übertragung in alle Bundesländer.

Es wird zwei große Buchpublikationen geben, darunter ein Faksimile-Reprint eines Buches, das anlässlich der Eröffnung der neuen Oper am Ring 1868 (mitsämtlichen Plänen und Grundrissen) erschienen ist.

Dass damals di Eröffnungsfeierlichkeiten durch den Selbstmord des Architekten Van der Nüll getrübt wurden, veranlasste den Operndirektor zu folgender Feststellung: „Die Wiener waren damals auch schon böse.“ (Da dürften wohl jüngste Erfahrungen mit der Bestellung des neuen Direktors eingeflossen sein…)

Stolz ist Meyer auf die kommenden „Troyerinnen“, ein weiteres sehr aufwendiges Projekt im Jubiläumsjahr.

Bei den Erwartungen auf Einnahmen aus dem Erlös aus dem Kartenverkauf liegt die Latte sehr hoch, was nicht immer sehr einfach ist einzulösen. Verwies auf die Richard-Strauss-Tage im Herbst mit 7 Stücken im Programm. Nicht alle Vorstellungen waren gut besucht. Dennoch wurde das Budgetziel nicht nur erreicht, sondern übertroffen.

WEITERE VORHABEN

CD und DVD Produktion angekurbelt

So z.B. die histor. Gesamtaufnahme des „Besuch der alten Dame“ bereits herausgekommen. Es kommt eine CD mit einem Querschnitt von Aufnahmen mit Edita Gruberova sowie eine mit Hvorostovsky. Weiters CD s den Kinderopern

Ein Buch über Richard Strauss auf der Basis deiner Ausstellung im Haus wird herausgegeben.

PUBLIKUMSFRAGEN

Nachfrage Ballett (oben erwähnt): „Das Ballett macht mich einfach glücklich.“

Kritik an Kleidung und Benehmen des (ausländischen) Stehplatzpublikums und Forderung nach Kleidervorschrift: Letzte kommt nicht. Verweis auf seine eigene Studentenzeit, wo er oft – aus Geldmangel – nicht immer gediegen gekleidet gewesen war. Personal ist aufgerufen, bei Verstößen gegen Hausordnung nach Möglichkeit rasch einzuschreiten. Neuerdings vermehrtes Problem mit störenden Partiturlesen auf I-Pods…

Manfred A. Schmid
OnlineMERKER

KÖLN/ „TALK AM DOM“ : Harald Schmidt, Winfried Bönig, Anke Bruns (Moderation)

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KÖLN: Harald Schmidt beim Talk am Dom (22.6.2018)


Harald Schmidt, Anke Bruns und Winfried Bönig. Copyright: Andrea Matzker

„Einfach himmlisch!“ war das Motto der KirchenMusikWoche 2018. Neben großartigen Orgel- und Chorkonzerten fanden viele interessante Gesprächsrunden statt, wovon die sicherlich launigste die vom Domorganisten und Musikhochschulprofessor Dr. Winfried Bönig mit Late-Night-Talker und „C-Kirchenmusiker“ Harald Schmidt war. Journalistin und Autorin Anke Bruns moderierte die Veranstaltung. Schmidt und Bönig stammen beide aus Süddeutschland und begannen jeweils mit 13 Jahren, Kirchenmusik zu studieren und das Orgelspiel zu erlernen. Schmidt arbeitete daraufhin 10 Jahre lang als Organist, bevor er sich hauptberuflich – eher zufällig als geplant – anderen Herausforderungen widmete. Für Bönig hingegen kamen Alternativen anderer Art überhaupt nicht infrage, also blieb er dabei und hat heute eine der begehrtesten Organistenstellen der ganzen Welt. Er gerät ins Schwärmen, wenn er von seinem Beruf spricht: “Im Dom verliert man die Zeit, als ob es gar keine Uhr gäbe.“ Er hat den Dom abends und nachts ganz für sich allein. Bönig: “Das wird nie langweilig. Der Dom ist ein Suchtfaktor.“


Harald Schmidt improvisiert gekonnt auf seiner Melodica. Copyright: Andrea Matzker

Schmidt ist trotz seiner facettenreichen Karriere nach wie vor musikalisch tätig. Am Klavier spielt er gerne die Zweistimmigen Interventionen und Haydn-Sonaten. Improvisierten Blues mit emotionalem Getue überlässt er gerne Anderen. Ganz besonders schätzt er die Choräle von Bach. Seine Einstellung zur Ausbildung seiner Kinder ist dementsprechend: “Ein Musikinstrument aufgeben ist schlimmer, als das Abitur nicht zu schaffen.“ Hervorragend bestand er eine mit viel Geschmack und ganz entzückend ausgesuchte musikalische Aufgabe, die alle zum Schmunzeln brachte. Der Domorganist spielte am Flügel das Thema der Bach-Kantate „Wachet auf ruft uns die Stimme“, bewusst nicht in der Originaltonart, also doppelt erschwert, und Schmidt musste auf der Melodica dazu improvisieren. Er bestand diese musikalische Prüfung auf Anhieb mit Auszeichnung. Anke Bruhns, von Haus aus Chorsängerin, traf den Nagel auf den Kopf, indem sie kurzerhand einige Texte aus dem Konvolut der Mundorgel ans gesamte Publikum verteilen ließ. Kantor Christoph Kuhlmann setzte sich an den Flügel, und alle sangen gemeinsam unter herzlichem Lachen die Ballade von Bolle. „Meine Oma fährt im Hühnerstall Motorrad“ wurde zugunsten des bewegten Singspiels „Der kleine Matrose“ ausgelassen. Schmidt sprang überraschend auf und begann die Prozedur, die er bereits in der legendären Sendung „Schmidteinander“ zur besten Sendezeit 25 Minuten lang live aufgeführt hatte. Bei jeder Strophe des Stückes fehlt ein Wort mehr, das mit Zeichensprache ersetzt werden muss. Damit endete diese geistreiche und zugleich äußerst vergnügliche und kurzweilige Gesprächsrunde.


Harald Schmidt als „Kleiner Matrose“. Copyright: Andrea Matzker

Als zauberhaft ausgesuchte Geschenke bekamen die beiden Musiker, jeweils ihrem Grad des Könnens als Organisten angepasst, kostbare Faksimileausgaben. Schmidt erhielt das Anna Magdalena Bach-Büchlein, und Bönig freute sich über das Wohltemperierte Klavier.


Harald Schmidt beim „Talk am Dom“. Copyright: Andrea Matzker

Dr. Egon Schlesinger/ Andrea Matzker

INNSBRUCK: Internationaler Richard Wagner Kongress 2018 – 20. bis 24. Juni 2018

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Horst Eggers, Präsident des RWVI. Foto: Ibrahim Kader

INNSBRUCK: Internationaler Richard Wagner Kongress 2018 – 20. bis 24. Juni 2018

Nach dem letzten Internationalen Richard Wagner Kongress in Budapest 2017 hatte sich der Richard Wagner Verband International e.V. unter der Führung seines Präsidenten Horst Eggers diesmal für die schöne Hauptstadt Tirols, Innsbruck, entschieden. Die Eröffnung fand am 21. Juni im Congress Innsbruck und die Delegiertenversammlung am 22. sowie das Symposium am 23. Juni im Hotel „Grauer Bär“ statt. Es gab auch ein interessantes künstlerisches und touristisches Rahmenprogramm, an dem ich jedoch nicht teilnahm, womit die drei o.g. Meetings im Mittelpunkt dieses Berichts stehen.

 

Eröffnung am 21. Juni 2018

Zu Beginn der Kongresseröffnung übermittelte Barbara Schweighofer in Vertretung des Landeshauptmanns Günther Platter Grußworte der Landesregierung Tirol und wies auf die hier bedeutende Rolle der Tiroler Festspiele in Erl mit ihrem Wagner-Schwerpunkt hin. Es sei auch den Wagner-Verbänden zu danken, dass das Oeuvre Richard Wagners weiter lebt, und dies sei auch im Sinne Tirols. Es sei doch etwas Besonderes, Wagner im Herzen der Alpen und Europas zu erleben!

Präsident Horst Eggers wies in seiner Eröffnungsrede auf den Organisator dieses Kongresses, den Richard-Wagner-Verband Innsbruck-Bozen, hin, der seit 10 Jahren vom em. o. Univ.-Prof. Dr. Dr. h.c. Ekkehard Kappler geleitet wird. Er wurde 1992 gegründet und war der erste „wirklich“ internationale, d.h. grenzüberschreitende regionale Richard-Wagner-Ortsverband, mit Mitgliedern aus Bozen im italienischen Südtirol und Innsbruck im österreichischen Tirol. Schon im Todesjahr Richard Wagners 1883 gab es hier viele Anhänger seiner Kunst. Der Zug mit seinem Sarg unterbrach in Bozen und Innsbruck spontan die Fahrt, weil sich hier Abordnungen und Musiker eingefunden hatten, um dem Bayreuther Meister die letzte Ehre zu erweisen – ein interessantes, wohl weniger bekanntes Detail. Erwähnung fand auch, dass die große Leonie Rysanek in Innsbruck 1949 mit Desdemona und Agathe ihre Weltkarriere begann. Anschließend richtete Präsident Ekkehard Kappler ein paar Grußworte an die Delegierten.

Sodann sprach Georg Willy, Bürgermeister der Stadt Innsbruck, zu den Delegierten und dem Präsidium. Er wies auf das große Erbe der Musik hin, welches u.a. durch die Tätigkeit der Wagner-Verbände weiter getragen werde. Er, selbst ehemals Chorsänger und Chorleiter, hob Wagners unumstrittenen Einfluss auf die Musik des 19. und 20. Jahrhunderts hervor und war selbst auch zweimal beim Jugendfestspieltreffen in Bayreuth.


Annedore Oberborbeck an der Violine, Magdalena Hofmann an der Harfe und der Bass Johannes Maria Wimmer. Foto: Ibahim Kader

Die Eröffnung wurde von einem begabten jungen Künstlertrio umrahmt, Annedore Oberborbeck an der Violine, Magdalena Hofmann an der Harfe und dem Bass Johannes Maria Wimmer.

Delegiertenversammlung am 22. Juni 2018

Zu Beginn der Delegiertenversammlung verlas Präsident Horst Eggers ein Grußwort von Frau Brigitte Mark-Erbe, der Oberbürgermeisterin von Bayreuth. Sie wies insbesondere auf das nach langjähriger Renovierung nun wieder eröffnete Markgräfliche Opernhaus hin, ohne welches Wagner bekanntlich nie nach Bayreuth gekommen wäre. Es wurde bereits 2012 von der UNESCO zum Welt-Kulturerbe ernannt. Seit der Eröffnung im letzten Mai ist die Touristenzahl in Bayreuth deshalb signifikant angestiegen. Frau Mark-Erbe wies sodann auf die Sonderausstellung zum Thema „Welttheater“ hin und empfahl den Anwesenden den Besuch Bayreuths in diesem Festspielsommer.

Sodann sprach der kaufmännische Geschäftsführer der Bayreuther Festspiele, Herr Holger von Berg, und übermittelte Grüße der Festspielchefin Katharina Wagner. Die Proben haben bereits begonnen, und der Ausstatter des neuen „Lohengrin“, Neo Rauch, ist schon ein halbes Jahr im FSH. Auch Christian Thielemann ist nun da, und man probt gut und intensiv. Die Reihe „Diskurs Bayreuth“ wird dieses Jahr mit „Verbote (in) der Kunst“ fortgesetzt, und man ist übereingekommen, diese Reihe auch weiterhin zu veranstalten. Am 24. Juli wird im Rahmen der Reihe die UA der Oper „der verschwundene hochzeiter“ des österreichischen Komponisten Klaus Lang gegeben, mit zwei Reprisen am 26. und 27 Juli. Veranstaltungsort ist die Kulturbühne „Reichshof“ Bayreuth in der Maximilianstr. 28. Es wird auch des 100. Geburtstags von Friedelind Wagner gedacht werden, wobei am letzten Tag eine Podiumsdiskussion stattfinden wird. Schon im Vorblick auf 2019, wo es einen neuen „Tannhäuser“ geben wird, wird am 24. Juli des 100. Geburtstags von Wolfgang Wagner mit einem Event ähnlich wie letztes Jahr für Wieland Wagner gedacht werden. Man verhandelt zudem schon jetzt für die Ausstattung der Feierlichkeiten zum 150jährigen Bestehen der Bayreuther Festspiele 2026, obwohl noch einige Jahre bis dahin vergehen werden. Dann sollte die Renovierung des FSH aber abgeschlossen sein, wozu entsprechende Entscheidungen 2019 erforderlich werden. In den nächsten Jahren soll es zusätzlich zu den Masterkursen für Gesang auch solche für das Dirigieren geben. Bald wird es eine vollständige Digitalisierung der Bayreuther Kartenvergabe geben, was auch den Zugang der Wagner-Verbände beeinflussen wird. Aber man müsse auch hier dem Trend der Zeit folgen.


Eva Wagner-Pasquier. Foto: Ibrahim Kader

Sodann stellte Herr Eggers die im Berichtszeitraum neu ernannten Vorsitzenden (aufgrund von Rücktritten oder Todesfällen) einzelner Richard-Wagner-Verbände vor. Es gab hier Veränderungen in Bamberg, Coburg, Edinburgh, Graz (Dr. Alexander Singer anwesend), Singapur (Juliana Lim und der neue Vorsitzende John Gee anwesend), Stockholm, Stuttgart, Wuppertal und Strasbourg. Es ist hervorzuheben, dass in Strasbourg von zwei recht jungen Wagner-Anhängern nun ein RWV gegründet wurde, beide waren anwesend.

Im Anschluss ehrte Horst Eggers folgende Vorsitzenden für ihr 10jähriges Jubiläum an der Spitze ihres jeweiligen Verbandes mit dem „Goldenen W“: Dirk Jenders, Frankfurt/Main; Viola Lachenmann, Ulm; Roger Cabogio, Cercle de Nantes; Chris Broderick, Neuseeland; James Holman, Washington D.C.; Markus Horsch, Konstanz; Vladimir Kiseljov, Tschechische Republik; Ekkehard Kappler, Innsbruck-Bozen, Annie Lasbistes, Toulouse und Thomas Krakow, Leipzig.

Im Anschluss erfolgte der Tätigkeitsbericht des Präsidenten. Horst Eggers konstatierte, dass er nach drei Jahren im Amt das Vertrauen der Mitgliedsverbände gewonnen habe und der RWVI von den Regionalverbänden und der Öffentlichkeit wahrgenommen werde. Es sei somit auch wieder Ruhe eingekehrt. Er sieht sich in erster Linie als Repräsentant des RWVI und nicht als Administrator. Die stetige Information der Mitgliedsverbände wird sehr geschätzt. So ist auch die Wiederaufnahme einiger ausgetretener Vereine zu begrüßen. Die vergangene Saison war insbesondere anlässlich der Neuinszenierung der „Meistersinger“ durch Barry Kosky sehr erfolgreich, wobei der Festakt zu Wieland Wagners 100. Geburtstag hervor zu heben ist. Eggers erwähnte ferner die gute Zusammenarbeit des RWVI mit der Festspielleitung und dem Pressebüro.

Horst Eggers erwähnte noch einige bedeutende Termine des vergangenen und diesen Jahres. Im November 2017 gab es in Berlin ein Symposium zu Wieland Wagner an der DOB. Am 24.7. 2017 war der Festakt zum Wieland Wagners 100. Geburtstag im FSH. Im Herbst 2017 gab es eine Präsidiumssitzung in Frankfurt/Main. Am 13.5.2018 wurde von der Richard Wagner Stiftung an der Oper Leipzig der Richard Wagner Preis 2018 an den Dirigenten Hartmut Haenchen, der zuletzt in Bayreuth den „Parsifal“ dirigierte, verliehen. (Der Neue Merker Wien berichtete darüber 06/2018). Und am 25.7.2018 gibt es die Neuinszenierung des „Lohengrin“ durch Youval Sharon in Bayreuth. Wegen der begrenzten Verfügbarkeit des Titelsängers Roberto Alagna gibt es dieses Jahr wie auch 2019 nur jeweils fünf Vorstellungen. Neben der Gründung des RWV Strasbourg durch die beiden jungen Kollegen wurde die RW Society Bulgarien in den RWVI aufgenommen, die von Kyrill Kartaloff aufgebaut wurde und geführt wird. Er ist der Sohn des Generaldirektors der Sofia Oper und Ballett, Acad. Plamen Kartaloff. Auch der Verband Regensburg ist nun wieder Mitglied des RWVI. Ausgeschlossen wurden der Verband Ljubljana und die Leipziger Romantik e.V., ebenso Flensburg, Solingen, Baden-Baden und Pforzheim. Der RWV Bonn hat sich zusammengeschlossen zum RWV Rhein-Sieg.

Abschließend würdigte Horst Eggers die anwesende Eva Wagner-Pasquier, die sich u.a. um die weltweiten RW Verbände kümmert. Sie sei eine „Bootschafterin und Aushängeschild des RWVI“. Der RWV Nizza wird Eva Wagner-Pasquier in diesem Sinne auch in Kürze zu seiner Ehrenpräsidentin (Présidente d´honneur) machen.

In einem Kommentar von Hansgeorg Kling vom RW Verband Kassel erwähnte er das so bedenkliche „Ausblenden der Jugend“ aus den Richard Wagner Verbänden. Es gibt drei Regionalverbände, die an diesem Thema interessiert sind und dazu im Rahmen einer Regionalbesprechung adressiert werden können. Ferner bat Kling das Präsidium um eine Bekanntgabe der genauen Arbeits- bzw. Themenverteilung unter dessen Mitgliedern, sodass man sich einfacher mit den jeweiligen Anliegen an die richtige Person wenden kann. Dazu sagte Präsident Eggers, dass der Geschäftsverteilungsplan von 2010 noch gültig sei, auch wenn einige Amtsinhaber gewechselt hätten. Eine stärkere Rolle der Regionalkonferenzen sei wünschenswert.

Darauf folgte der Jahresbericht der Finanzen für das Berichtsjahr 2017. Dr. Stefan Specht berichtete sodann über die Aktivitäten der Richard Wagner Stipendien Stiftung für 2018. Die StipendiatInnen kommen aus 42 Ländern. Der deutsche Anteil verringerte sich auf 97 und beträgt damit ca. 40%. Die aus anderen Ländern kommenden StipendiatInnen verteilen sich wie folgt: Frankreich 17, Südkorea 15, Russland 13, Ukraine 9, Österreich 8. Der Anteil der Teilnehmerinnen beträgt 134 und damit 55,4%, und ist leicht reduziert, während die männlichen Teilnehmer 108 und damit 44,6% betragen. Der Altersdurchschnitt beträgt 27,4 Jahre. Die Zuschüsse für die Reise nach Bayreuth wurden gekürzt. Nur die osteuropäischen StipendiatInnen bekommen noch einen Fahrtkostenzuschuss. Es gab Unterbringungsprobleme wegen des Ausfalls eines Quartiers, aber Peter Leonhardt hat zwei Ersatzquartiere gefunden. Am 5. August beginnt das Stipendiatenprogramm mit den Aufführungen im FSH, und am 9. August wird es mit dem Stipendiatenkonzert im Europassaal abgeschlossen.

Schon mit Ausblick auf die Saison 2019 lässt sich sagen, dass die Anreise der StipendiatInnen am 14. August erfolgen wird. Am 15.8. gibt es „Parsifal“, am 16.8. „Tristan und Isolde“, am 17.8. die Neuproduktion des „Tannhäuser“ und am folgenden Sonntag das Stipendiatenkonzert. Am 19.8. wird die Abreise sein. Abschließend stellte Peter Specht heraus, dass sowohl Katharina Wagner als auch Holger von Berg das Stipendiatenprogramm sehr unterstützen.

Anschließend sprach ein Spezialist über die Anforderungen der am 25. Mai 2018 in Kraft getretenen Europäischen Datenschutz Grundverordnung (DS-GVO). Diese ist bei den einschlägigen Websites der RW Verbände zu berücksichtigen.

Frau Alessandra Althoff Pugliese, die Präsidentin der Assoziazione Richard Wagner di Venezia gibt sodann eine kurze Vorschau auf den nächsten Internationalen Richard Wagner Kongress in Venedig vom 28. November bis 2. Dezember 2019. Das derzeitige Programm kann von der Website der Assoziazione www.arwv.it herunter geladen werden.

Anschließend kündigte die Vorsitzende des RWV Madrid, Frau Barniero, an, dass der Kongress im Jahre 2022 eventuell in Madrid stattfinden könnte, da im Januar/Februar 2022 der neue „Ring“ am Teatro Real mit der „Götterdämmerung“ abgeschlossen werden wird.

Auch Frau Dr. Jutta Hering-Winckler, Vorsitzende des RWV Minden, erwähnte eine interessante kommende Neuinszenierung der „Götterdämmerung“, denn der „Ring“ in Minden wird mit dem Dritten Tag der Tetralogie ab dem 6. September 2018 abgeschlossen werden.

Der Vorsitzende des RWV München, Karl Russwurm, informierte die Delegiertenversammlung, dass in der Zeit vom 22. bis 24.03.2019 im Schloss Fürstenried bei München unter dem Titel „STICHWORT WAGNER“ ein Symposium stattfindet über „Richard Wagner und die Theologie“.

Symposium am 23. Juni 2019

Der RWVI hatte am vorletzten Tag des Kongresses zwei international bekannte Referenten zu einem Symposium eingeladen, und zwar sprach

Dr. Magdalena Zorn, Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Musikwissenschaft der Ludwig-Maximilians-Universität München zum Thema „Stockhausen unterwegs zu Wagner – Zur Musiksprache der Mysterienspiele „Parsifal „und „LICHT“, sowie

Dr. Leopoldo Siano, Dozent am Musikwissenschaftlichen Institut der Universität zu Köln zum Thema: „ … ein  sich selbst gebärendes Kunstwerk“ – Hermann Nitsch und Richard Wagner“.

In ihrem hochinteressanten und intellektuell beeindruckenden Referat ging Magdalena Zorn* auf die vornehmlich zu oberflächliche Gegenüberstellung von Wagners „Ring des Nibelungen“ mit Stockhausens von 1977 bis 2003 komponiertem siebenteiligem Musiktheaterwerk „LICHT“ ein, welches mit 29 Stunden Spieldauer noch weit Wagners opus magnum mit seinen etwa 16 Stunden übertrifft. Stockhausens nach den Tagen der Woche benanntes „LICHT“ war als „eine Art konklusives opus summum der abendländischen Musik- und Kulturgeschichte gedacht“. Damit radikalisierte der Komponist nicht nur Wagners Gesamtkunstwerk-Idee zum „Ring“, sondern bei genauerer Betrachtung auch das musiktheologische Programm des „Parsifal“. Der Vortrag stellte in ausgewählten Beispielen Wagners „Parsifal“ und Stockhausens „LICHT“ einander gegenüber, um Überschneidungen in der religiösen Musiksprache dieser modernen Mysterienspiele aufzuzeigen.

Leopold Siano* stellte im Anschluss an das Referat von Magdalena Zorn das Orgien Mysterien Theater (O.M.T.) von Hermann Nitsch vor und unterstrich dessen ständiges Bestreben, wie Wagner ein Gesamtkunstwerk zu schaffen. Unter O.M.T. versteht Nitsch „ein philosophisches Unternehmen, dessen Ziel die Sakralisierung des gesamten Lebenslaufs ist“. Nitsch ist ein großer Verehrer Richard Wagners und betrachtet ihn als einen seiner größten und frühesten Lehrer. Er war besonders von den „theatralischen Theorien Wagners angetan, und es faszinierte ihn als jungen Künstler der tiefe, existenzielle Ernst, mit welchem Wagner seine … Mission betrieb. Für ihn war Kunstausübung eine metaphysische Tätigkeit, und er lehrte die Menschen, sie so zu verstehen.“ Fasziniert von den Hörerfahrungen der Wagnerschen Musikdramen konzipierte Nitsch im Alter von erst 19 Jahren ein sakrales Festspiel, das 6-Tage-Spiel, explizit als gigantische Symphonie, in der auch die Leitmotivik eine bedeutende Rolle spielt. Nitsch versteht die Kunst wie eine Art Priestertum und meint, auch bei Wagner „eine Priesterhaftigkeit, ein sakrales, rituell kultisches Monumentalisieren“ zu erkennen. Als Höhepunkt in diesem Kontext sieht er Wagners „Parsifal“, den er auch einmal an der Wiener Staatsoper inszenierten sollte. Der Auftrag wurde jedoch vom damaligen Staatsoperndirektor Ion Holender entzogen. So widmete Nitsch sich einem 2-Tage-Spiel zu „Parsifal“ und fügte es von 31. Juli bis 2. August 2004 in seinem Schloss Prinzendorf auf, das er im Übrigen als sein Bayreuth versteht, „einer Kultstätte des Grals nicht unähnlich.“ Siano gipfelte seine Ausführenden mit der Empfehlung, dass Nitsch ein idealer Regisseur für den „Parsifal“ sei und ihn baldmöglichst inszenieren solle, am besten in Bayreuth.

Daraufhin entspann sich eine lebhafte Diskussion unter den Zuhörern zu den Vorträgen beider Referenten. Insbesondere gab es kontroverse Auffassungen zu einigen Thesen von Leopoldo Siano.

Ein Vertreter des RWV Amsterdam teilte noch mit, dass Stockhausens „LICHT“ im Juni 2019 am Musiktheater Amsterdam in einer wahrscheinlich 75prozentigen Version aufgeführt werden wird. Eva Wagner teilte ließ die Delegierten wissen, das „LICHT“ etwa 1985 am Royal Opera House Covent Garden mit großem Erfolg aufgeführt wurde. Sie hatte auch mit Stockhausen gearbeitet und schilderte diese Zusammenarbeit als „gigantisch“.

*Die Ausführungen lehnen sich weitgehend an die dreisprachig bereit gestellten Zusammenfassungen der beiden Vorträge an.

Klaus Billand, 25. Juni 2018

www.klaus-billand.com

 

BELLOTTO-CANLETTO und Warschau

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Mit Canalettos Hilfe…

Warschau gilt als eine der schönsten Städte Europas und wirkt „echt alt“. Tatsächlich wurde Polens Hauptstadt im Zweiten Weltkrieg zu einem großen Teil zerstört. Man hätte die Altstadt nicht dermaßen wieder herstellen können, hätte der „Wiener Canaletto“ ihnen dabei nicht nachdrücklich geholfen

Von Renate Wagner

Besucher von Warschau sollten sich die Zeit nehmen, zumindest einen Vormittag im Königlichen Schloß zu verbringen. Es liegt mächtig auf dem Schloßplatz, und wüßte man es nicht anders, erschiene es als historisches Gebäude mit langer Geschichte – so, wie es seit dem 13. Jahrhundert entstanden und immer wieder zu- und umgebaut wurde.

August der Starke hat in seiner Eigenschaft als König von Polen hier ebenso Zubauten anfügen lassen wie der vielleicht bedeutendste polnische König, Stanislaw August Poniatowski. Noch nach 1918 diente das Schloß als Sitz des Präsidenten der Republik.

Doch dieses Warschauer Schloß wurde während des Zweiten Weltkriegs völlig zerstört, und nur Teile der Einrichtung und der darin befindlichen Kunstwerke hatte man retten können. Das Gebäude lag, wie viele andere kostbare alte Bauten Warschaus, in Schutt und Asche…

Nichts davon wird man heute noch merken. Daß der Wiederaufbau Warschaus in dieser schier unglaublich gelungenen Form möglich war, dankt man nicht nur den Architekten und Baumeistern von heute (und jenen Exilpolen vor allem, die Unsummen spendeten), sondern auch einem Mann, der mit der Geschichte Österreichs eng verbunden ist.

Man nennt auch ihn „Canaletto“, aber er ist nicht „der“ Canaletto, er ist nicht Antonio Canal, der Maler Venedigs. Er ist dessen Neffe, Bernardo Bellotto, der es gewiß nicht nötig gehabt hätte, sich denselben „Künstlernamen“ zuzulegen wie der Onkel und damit die Nachwelt in einige Verwirrung zu bringen. Zumal er auf seine Art ein ebenso genialer Maler war – und ebenso wichtig.

Nicht nur für Wien, wo einige seiner Werke – darunter die Ansichten von Schloß Schönbrunn und sein Blick vom Belvedere – zu den Prunkstücken des Kunsthistorischen Museums zählen. Sondern mehr noch für Dresden und Warschau, jene Städte, die er so unermüdlich wie penibel gemalt hat – und mit diesen Bildern der Nachwelt die Vorlage dessen lieferte, was es zu rekonstruieren galt…

Dieser Bernardo Bellotto, geboren am 30. Jänner 1721 in Venedig, war Schüler seines Onkels, merkte aber bald, dass er in dieser Stadt vermutlich immer in dessen Schatten stehen würde. Damals reisten Maler ebenso wie Musiker durch die Kunststädte Europas, und Bellotto nahm seinen Weg von Italien nach Dresden. 1746 traf der 25jährige dort auf Einladung von August III., dem Kurfürsten von Sachsen, dort ein. Schon verheiratet und Vater eines dreijährigen Sohnes, begann für Bellotto in dieser Stadt früh seine erste Glanzzeit. Hier wurden seine vier Töchter geboren.

August III., der Sohn von August dem Starken, hatte für sein „Elbe-Florenz“ die höchsten Ambitionen, und Bellotto / Canaletto, ein Meister der Vedute, wurde sein Prophet. Seine Stadtansichten gehören zu den bedeutendsten Zeugnissen dieser Gattung im 18. Jahrhundert.

 
Selbstporträt auf einem seiner Dresden-Gemälde

Der Siebenjährige Krieg beendete die glückliche Zeit in Dresden, die Sachsen hatten nun andere Sorgen und schwer damit zu tun, sich an Seiten der Habsburger gegen den Preußenkönig zu verteidigen, und Bellotto mußte sich andere Auftraggeber suchen. Glücklicherweise für Österreich wandte er sich nach Wien, wo er von 1759 bis 1761 im Auftrag Maria Theresias tätig war – eine verhältnismäßig kurze Zeit nur, doch künstlerisch äußerst ergiebig. In 13 großformatigen Veduten verewigte er kaiserliche Schlösser und Wiener Plätze und hinterließ der Welt das Wien Maria Theresias in seiner ganzen glorreichen Atmosphäre. Sein Blick auf Wien vom Belvedere aus ziert den Vorhang des Theaters in der Josefstadt…

Allgemein kann man sagen, dass Bellottos Bilder – zumal jene von Schönbrunn – zu den bekanntesten historischen „Österreich-Ansichten“ zählen, zahllose Male reproduziert, quasi zum Markenzeichen geworden.

Dennoch zog es Bellotto in sein geliebtes Dresden zurück, wo er – auf einem Umweg über München – sich 1762 wieder niederließ. Doch die goldenen Zeiten waren vorbei, und so wandte der Maler sich St. Petersburg zu. Er hat es nie erreicht, denn zum Glück für Polen blieb er in Warschau „hängen“. Der kunstliebende König Stanislaus August Poniatowski wußte, was er an diesem Künstler hatte, ernannte ihn zum Hofmaler und schuf ihm jene glücklichen Verhältnisse, wie sie einst in Dresden geherrscht hatten.

Das Ergebnis dieser Warschauer Jahre – Bellotto / Canaletto lebte bis zu seinem Tod am 17. Oktober 1780 hier – ist heute im schönsten Raum des Warschauer Schlosses zu betrachten. Er nennt sich „Canaletto-Raum“ und enthält faktisch nichts als an den Wänden jene 22 Gemälde, die der Maler in zwölf Jahren von den Straßen und Plätzen im Zentrum der Stadt schuf.

Das ist das Warschau des späten 18. Jahrhunderts, das Leben der Menschen, der Adeligen und Bauern, der reichen Bürger und der armen Straßenverkäufer. Vor allem aber die Akribie, mit der Canaletto – der auch mit Hilfe der „Camera obscura“ arbeitete, um große Räume perspektivisch korrekt zu gestalten – die Gebäude der Stadt malte, ließ seine Gemälde zum unersetzlichen Schatz werden. Man wußte, man konnte sich auf ihn und seine berühmte, hervorragende Genauigkeit verlassen – so, wie sie von ihm gemalt worden waren, hatten Häuser, Kirchen und Paläste der Stadt ausgesehen.

Auf einem der Bilder, das die Gesamtansicht Warschaus von Praga aus zeigt, hat sich Canaletto selbst, an der Staffelei sitzend, links unten verewigt… so, wie er sich auch in eines seiner Dresden-Bilder eingemalt hat. Damit der Künstler über dem Werk nicht in Vergessenheit gerät.

Es waren die „Warschauer Veduten“ des „Wiener Canaletto“, wie man ihn lokalpatriotisch im Unterschied zu seinem venezianischen Canaletto-Onkel nennen möchte, die den Polen halfen, ihre Stadt wieder aufzubauen…

BELLOTTO-CANALETTO: Der Meister des täglichen Lebens

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Bernardo Bellotto, Selbstbildnis

BELLOTTO-CANALETTO

Der Meister des täglichen Lebens

Wer sich über das „Wien um 1760“ informieren will, wird keine bessere Quelle finden als jene großformatigen Gemälde, die Bernardo Bellotto, genannt „Canaletto“, in dieser Zeit gemalt hat. Er hat Wien – im Gegensatz zu seinen Aufenthalten in Dresden oder Warschau – nur kurz gestreift, aber seine unübersehbaren künstlerischen Spuren hinterlassen

Von Heiner Wesemann

Wenn zwei Künstler denselben Namen tragen, sind Verwechslungen und Missverständnissen Tür und Tor geöffnet. In der Kunstgeschichte ist der Fall „Canaletto“ wohl einer der berühmtesten dieser Art. Sowohl Antonio Canal (dieser zuerst) wie auch sein ebenso begabter Neffe Bernardo Bellotto verwendeten den Beinamen „Canaletto“. Bellotto, geboren 1721 in Venedig, hatte in der Werkstatt seines damals schon als Vedutenmaler hoch berühmten Onkels gelernt. Später trennten sich ihre Wege, nicht im Guten wohl – vermutlich hat es Canal nicht geschätzt, als unter einem Bild des Neffen in Turin erstmals die Signatur „Bernardo Bellotto detto il Canaletto“ erschien.

Dennoch machen es die beiden „Canaletti“ der Nachwelt mit der Unterscheidung nicht allzu schwer – sie ergibt sich aus ihren Sujets. Denn während der Schwerpunkt des Onkels Italien blieb – er ist der große Bild-Schöpfer Venedigs – und sich dann für ein Jahrzehnt nach England verlagerte, wo er seine Kunst auf eine gänzlich andere Welt projizierte, so gibt es im Leben des Neffen drei Städte, denen er vordringlich seine Kunst widmete: Dresden, Wien und Warschau. Und für Dresden und Warschau hat er retrospektiv mehr geleistet, als je einem anderen Künstler möglich wurde: Als man daran ging, diese beiden Städte nach dem Bombardement des Zweiten Weltkriegs wieder aufzubauen, waren es in beiden Fällen die Bilder von Bellotto-Canaletto, die dabei halfen, detailgetreu die alte Pracht wieder herzustellen.

Wien hatte das glücklicherweise nicht nötig. Diese Stadt verdankt den Werken Bellotto-Canalettos bis heute Einblicke in die Epoche Maria Theresias, die als Dokumente unübertroffen sind. Dabei hielt er sich nur kurz und gewissermaßen „vorübergehend“ in der Stadt auf – er kam zu Beginn des Jahres 1759, von Dresden kommend, auf der Flucht vor dem Siebenjährigen Krieg, arbeitete hier das ganze Jahr 1760 und reiste schon im Jänner 1761, mit einem Empfehlungsschreiben Marias Theresias versehen, in Richtung München weiter.

Es ist nicht bekannt, in welcher Eigenschaft Bellotto-Canaletto in diesen knapp zwei Jahren die 17 unschätzbaren Gemälde von Wien und Umgebung schuf, jedenfalls war er nicht, wie in Dresden bei König August III. und später wieder in Warschau bei Stanislaw II. August bei Hofe angestellt (dort starb er dann unvermutet 1780, noch nicht 60 Jahre alt). Hier wie dort jedoch leistete (also wohl auch in Wien) eine Art „Camera obscura“ Hilfestellung beim Schaffen seiner bewundernswert realistischen Stadtansichten, ein Apparat, mit dessen Hilfe Einzelteile des Gemäldes in einem gezeichneten Gitternetz vorgearbeitet und dann zu dem Bild zusammengefügt wurden.

Man kann annehmen, dass in Wien neben den Fürsten Liechtenstein und Kaunitz Maria Theresia selbst zu Bellotto-Canalettos Auftraggebern zählte, zumindest was die Bilder von Schönbrunn und Schlosshof angeht. Die Werke waren zur Ausstattung in den eigenen Schlössern gedacht (sie gelangten erst in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts in die öffentliche Galerie) und fielen offenbar zur vollen Zufriedenheit der Kaiserin aus. Schließlich schrieb sie in ihrem Empfehlungsschreiben über Canaletto, dass er sich in Wien sehr gut aufgeführt habe („Il s’est conduit ici tres bien“) und dass seine Bilder ihr großes Vergnügen bereitet hätten („et nous at fournit plusieurs pieces des ces ouvrages tres belles“). Freude hatte sie zweifellos daran, dass er „ihr“ Schloss Schönbrunn in zwei Ansichten schuf, die bis heute vermutlich die meist reproduzierten dieses Bauwerks sind. Bellotto-Canaletto malte die Vorderfront mit ihren Seitengebäuden (die heute nahezu unverändert aussieht, nur dass keine Kutschen mehr vorfahren), und er malte die Gartenseite, wobei die kunstvollen Blumenrabatte auf der linken Seite des Bildes glänzend zur Wirkung kommen.

Wenn der Auftraggeber es sich leisten konnte, schuf Bellotto-Canaletto gerne mehrere Ansichten ein- und desselben Motivs: Die Liechtensteins, die da keine Probleme hatten, ließen ihr „Gartenpalais“ in der Rossau (eine bescheidene Bezeichnung für einen Palast, der noch heute eines der schönsten Gebäude Wiens ist) vom Garten her und von der Seite malen. Das von Prinz Eugen errichtete Schlosshof im Marchfeld war ein Lieblingsschloss Maria Theresias (weshalb dort später die Hochzeit ihrer Lieblingstochter Marie Christine stattfand): Dieses malte Bellotto-Canaletto gleich dreimal, die imposante Gartenseite, die das Schloss im Hintergrund zeigt, kleiner als der riesig wirkende Teich im Vordergrund, die anmutigere Hofseite und auch noch eine Seitenansicht von Norden.

 
Foto: KHM

Zu besonderer Bekanntheit gelangte auch Bellotto-Canalettos „Wien, vom Belvedere aus gesehen“, nicht nur dank der Meisterschaft, mit welcher er die Gartenanlagen des Schwarzenberg-Palais und des Belvedere zwischen Karlskirche und Salesianerkirche malte, sondern auch, weil dieses Bild als Ikone der Wien-Malerei gilt und außerdem als „eiserner Vorhang“ des Theaters in der Josefstadt wohl schon von Hunderttausenden Wiener Theaterbesuchern bewundert wurde …

Was Bellotto-Canalettos Bilder von Wiener Plätzen betrifft, so gibt es nur einen in zwei Perspektiven: Die Freyung von Südosten zeigt die Schottenkirche im Hintergrund, wo sie gleichsam lebhaftes Markttreiben beschließt. Die Freyung vom Nordwesten wird in der linken Hälfte ganz von der Fassade ebendieser Schottenkirche beherrscht, aus der sich gerade eine feierliche Prozession bewegt und einzelne Menschen andächtig auf Knien davor liegen, während die rechte Seite des Bildes vergleichsweise weniger belebt erscheint.

Auch seine anderen Wiener Plätze – den Lobkowitzplatz, den Mehlmarkt (heute der Neue Markt) mit der Kapuzinerkirche ganz links, den Dominikanerplatz mit der Kirche links im Bild, den Universitätsplatz mit dem halb im Schatten liegenden (!) Universitätsgebäude im Zentrum und der Universitätskirche rechts – sind belebt und lassen sich in ihren zahllosen Details des Volkslebens im weitesten Sinn als Kulturgeschichte des Maria Theresianischen Zeitalters „lesen“.

Da sind die feinen Herrschaften in ihren luxuriösen Kleidern und die „armen Leut’“, die Marktfrauen und die Mönche, die Professoren und die Studenten, die Soldaten oder die Gärtner in Schönbrunn. Da wird gearbeitet und geplaudert, kutschiert und spazieren gegangen, gespielt und gegafft. Kurz, Bellotto-Canaletto ist nicht nur der große Meister der „Stadtszene“, sondern auch der Meister des täglichen Lebens, des vollen Menschenlebens einer Stadt.

Bellotto-Canaletto hat noch, um die Aufzählung seiner 17 „Wiener Bilder“ komplett zu machen, das Palais Kaunitz in Mariahilf (das heute nicht mehr existiert) in einer Seitenansicht gemalt und, wie im Fall der Liechtenstein-Bilder, den Auftraggeber als Figur in das Gemälde integriert. Schließlich schuf er noch eine Ansicht der so genannten „Ruine Theben“. Was wie ein „Capriccio“ wirkt, die idealisierten erfundenen barocken Kompositionen meist um pittoreske Ruinen, ist tatsächlich ein Stück Realität: Bellotto-Canaletto malte die Reste der Burgfestung von Theben, die am Zusammenfluss von March und Donau im Bereich des heutigen Bratislava liegt. Ganz im Hintergrund ist winzig klein Schlosshof zu erkennen.

Bellotto-Canalettos Bilder, von denen sich die meisten in Wien befinden und zu den Schätzen des Kunsthistorischen Museums zählen (die „Karlskirche“ ist in London gelandet), haben nicht nur die Zeitgenossen (wie Maria Theresias Brief zeigt), sondern vor allem die Nachwelt begeistert, als sie allgemein zugänglich wurden. In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, als die „alte“ Stadt vielen Neuerungen wich, begann die besondere Schätzung Bellotto-Canalettos als Chronist einer „Welt von gestern“: In seine Bilder einzutauchen, kommt einer Zeitreise gleich.


WIEN/ Staatsoper: „KONTRAPUNKTE“ – „Wie begeistert man Jugend für Klassische Musik?“

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Copyright: Wiener Staatsoper/ Ashley Taylor

Wien/Staatsoper:KONTRAPUNKTE“ – „Wie begeistert man Jugend für Klassische Musik?“ – 17.6.2018

Im Rahmen der Serie „Kontrapunkte“ fand im Gustav Mahler-Saal der Wiener Staatsoper eine Gesprächsmatinee von und mit Prof. Dr. Clemens Hellsberg zu diesem Thema statt. Gäste waren Martin Grubinger und Dr. Andreas Mailath-Pokorny. Hellsberg war zuletzt von 1997 bis 2014 Vorstand der Wiener Philharmoniker und ist Autor des Buches „Demokratie der Könige“ sowie weiterer Publikationen und auch Vortragender. Grubinger ist vielleicht einer der besten Multipercussionisten der Welt. Sein Repertoire reicht von solistischen Werken über kammermusikalische Programme mit seinem Percussive Planet Ensemble bis hin zu Solokonzerten. Er hat sich auch dafür eingesetzt, das Schlagwerk als Soloinstrument in den Mittelpunkt des klassischen Musikbetriebs zu stellen und auch eine Reihe internationaler Preise erworben. Mailath-Pokorny war 2001-2018 Stadtrat für Kultur, Wissenschaft & Sport der Stadt Wien. Nach einem Studium in Wien und Bologna arbeitete er im Diplomatischen Dienst und später im Völkerrechtssbüro und war Mitglied der KSZE-Delegation. Er arbeitete im Kabinett von Bundeskanzler Dr. Franz Vranitzky und war später Leiter der Sektion für Kunstangelegenheiten im Bundeskanzleramt.  


Dr. Clemens Hellsberg. Copyright: Wiener Staatsoper/ Ashley Taylor

Zu Beginn unterstrich Clemens Hellsberg (H), dass uns alle diese Frage beschäftigen sollte, und für ihn ist sie heute noch relevanter als früher. Denn in Wien erhält mehr als die Hälfte der Kinder keine deutschsprachige Erziehung. Was bedeutet musikalische Erziehung vor diesem Hintergrund? Mailath-Pokorny (MP) führte dazu aus, dass die musikalische Erziehung bei ihm schon mit Klavierspielen mit sieben Jahren begonnen habe, er sie aber zugunsten sportlicher Aktivitäten abgerochen habe, was er heute bereut. Er meinte, neben der musikalischen Erziehung – seine Frau spielt auch Klavier – sollte die soziale Komponente mit einbezogen werden. Das Angebot in Wien ist ja vorhanden. Die wesentliche Frage ist: wie kann man den Zugang zu diesem Angebot schaffen?


Martin Grubinger. Copyright: Wiener Staatsoper/ Ashley Taylor

Martin Grubinger (G) ist ein gutes Beispiel dafür. Er meinte, man muss etwas schaffen, dass sicher stellt, dass die Kinder und Jugendlichen dabei bleiben. Das hat mit Geerdetsein und Enthusiasmus zu tun. Ohne viel „Drumherum“ sollte man gleich einsteigen, sodass sie „hinein gezogen“ werden. Und dann kam G auf Österreich, speziell auf sein Bundesland Oberösterreich zu sprechen. Hier gibt es ein einzigartiges Musikschulsystem inkl. musikalischer Früherziehung bis hin zum Tanztheater. So kann man dort sehr früh mit klassischer Musik in Kontakt kommen. Es gibt auch deshalb in Oberösterreich eine große Tradition in der Blasmusik. Viele Familien haben dazu einen Bezugspunkt, ja, Blasmusik zu machen kommt fast einem Kult gleich. Die Musik ist „greifbar“. G meint, man sollte dieses Modell auf ganz Österreich übertragen. „Aber wir gehen mit der Thematik zu fahrlässig um, und wer keinen musikalischen familiären Hintergrund hat, hat keine Chance“. Deshalb fordert G eine „Musikrevolution in Österreich“. Es hängt auch sehr viel von den Kindergärten und dem dortigen Betreuungspersonal ab. Es sollte nicht nur technisch, sondern auch so vorbereitet wenden, dass es die mit der Musik verbundenen Emotionen vermitteln kann.

H fügte hinzu, dass man auch die Grundschulen mit einbeziehen muss. In diesen sollte auch gesungen werden. Das ist „wahnsinnig wichtig“. Er wies auf ein Gesetz in Oberösterreich hin, das erst die von G angesprochene Politik ermöglichte.

MP meinte, dass die Grundschulen in Wien in dieser Hinsicht besser sein könnten und erwähnte, dass mittlerweile sog. Campusschulen entstehen, wo die Kinder bis 15/16 Uhr bleiben. In diesen neuen Schulen sollte man ein entsprechendes Angebot zum Musiklernen machen. Aber: „Die Reduktion der musikalischen Fächer ist bemerkenswert. Musik wird eher so nebenbei gemacht.“ So müsste auch die eigene Kreativität gefördert werden. Man muss sich aber dazu bekennen, es zu tun. Da fehlt das Bekenntnis der Gesellschaft. Eltern sollten auf mehr musikalischen Unterricht pochen. Es müssen damit Freude vermittelt und Neugierde geweckt werden.

G unterstreicht die entscheidende Bedeutung der Kreativität. Wie kann man die Welt verändern? Dazu sind eben nicht nur die klassischen Unterrichtsfächer geeignet. Man muss dazu an die Pädagogen herangehen, am besten mit einem „Masterplan für Musik“, und den flächendeckend für ganz Österreich.

MP hebt die Bedeutung von mehr Proberäumen und -möglichkeiten hervor. Auch das kann bei der notwendigen Förderung der (musikalischen) Kreativität helfen. Stattdessen geht die Mathematik weit vor der Musik als Unterrichtsfach. Fällt man in Mathe durch, ist es ernst, fällt man in Musik durch, ist es egal… (Das war schon zu meiner Schulzeit so!).

MP: Das ist alles auch keine Frage des Geldes und der Aufmachung, sondern des Wissens. Zum Beispiel gab es einen großen musikalischen Event im Wiener Schöpfwerk, auch einen in Ottakring. Dort machten Kinder mit. So sollten auch die Wiener Musikschulen dorthin kommen. Es gibt ja in Wien ein großes Angebot, auch in vielfältiger Form. Aber die Leute müssen es wissen!

G: Man muss aber auch die Sensorik dafür haben. Um das zu bewerkstelligen, sollte der Musiklehrer die Musikmacher kontaktieren. Was aber ist mit den vielen tausend Schülerinnen und Schülern, die gar nicht erst zur klassischen Musik kommen?! Die keinen entsprechenden familiären Background haben. „Wir verlieren eine ganze Generation, die mit Kunst und Kultur nicht und Berührung kommt.“ warnt G. Früher gab es einmal die sog. Arbeiterkonzerte der öst. Sozialdemokratie.

H: Im Übrigen führt die digitale Revolution dazu, dass sich die Jugend immer weiter von der klassischen Musik entfernt. Hier müsste man sie heraus holen. Viele sind überhaupt nur noch über die sozialen Medien zu erreichen.


Dr. Andreas Mailath-Pokorny. Copyright: Wiener Staatsoper/ Ashley Taylor.

MP: Die große politische Debatte sollte ohnehin auf ein gut funktionierendes österreichisches Schulsystem zielen, und dazu ist je einiges im Gange. Die Konservatorien sollten im Angebot musischer Fächer verstärkt werden. Darüber hinaus sollten Wege gefunden werden, Interesse für die traditionellen Kulturformen zu wecken. „Wie kann man Neugierde in den Sozialen Medien wecken?! Ist Instagram dazu erforderlich? – Ich wage es zu bezweifeln.“ Und wie vermitteln wir künstlerische Qualität?
Man arbeitet derzeit an einer App, über die Musikunterricht laufen kann. Und ein bedeutender Instrumentenbauer ist nun dabei, eine App für jedes Instrument dazu zu liefern.

H findet, dass künstlerische Qualität etwas zutiefst Humanistisches ist, verbunden mit dem Streben nach Besserwerden. Das gibt es aber noch nicht im erwünschten Ausmaß.

G: Wenn man über das normale Musikinteresse hinaus auch musikalisch tätig werden will, muss die entsprechende Entscheidung zur Ausbildung schon mit 10/11 Jahren fallen. Mit 18/19 muss man schon auf dem musikalischen Zenit sein – da kommen die Fußballer gerade mal erst in Schwung! Bis dahin muss man aber schon zehntausende Stunden geübt haben.

H erinnert noch daran, das Staatsoperndirektor Dominique Meyer, der auch bei der Matinee zugegen war, nachmittags Vorstellungen für Kinder aus den Bundesländern spielt. Die Produktionen hatten immer hier im Hause Premiere. Man kann aber nicht die Atmosphäre des Hauses transferieren.

PS

Mir lag der Fokus dieser Gesprächsmatinee zu sehr auf Österreich, mit besonderem Bezug auf Oberösterreich. Das Thema ist aber ebenso wie die weltweite digitale Revolution ein globales! So wundert mich ein wenig, warum auch andere wichtige Aspekte der musischen Bildung nicht angesprochen wurden. Wissenschaftliche Studien haben klar gezeigt, dass Kinder mit musikalischer Ausbildung besser lernen, eben auch die Pflichtfächer. Damit hat man besonders in Südkorea gute Erfahrungen gemacht, wo die musische Ausbildung in den Schulen eine ganz wichtige Rolle spielt. Nicht umsonst gewinnen koreanische Sängerinnen und Sänger immer wieder in signifikanter Zahl auf europäischen Gesangswettbewerben. Man denke nur an den ARD-Gesangswettbewerb, der im September wieder stattfinden wird.

Auch wurden bedeutende Modelle in diesem Kontext nicht angesprochen, wie das mittlerweile weltberühmte „El Sistema“ aus Venezuela, gegründet bereits 1975 vom venezolanischen Erzieher, Musiker und Aktivisten José Antonio Abreu. Aus dem „Sistema“ ging unter anderen kein geringerer als Gustavo Dudamel hervor… 2015 hatte „El Sistema“ bereits 400 Musikzentren mit 700.000 jungen Musikerinnen und Musikern. Weiterhin gibt „Sistema“ eine signifikante Zahl von Musikstunden nach der Schule und an Wochenenden. „El Sistema“ wird sogar in den USA als Vorbild genommen.

Dann gibt es das ungarische „Virtuosus“, ein Fernsehprogramm für Kindertalente, welches äußerst erfolgreich ist und an drei Monaten im Freitags-Hauptprogramm ausgestrahlt wird. Es wurde ein Zuwachs von 40 Prozent an Inskriptionen in Musikschulen verzeichnet.

Schließlich gibt es noch das österreichische „Superar“ mit dem Mission Statement: “Superar provides training in music and dance and offers access to the positive effects of the performing arts to all children free of charge.“ Dabei sollen auch soziale und kulturelle Schranken überwunden, mehr Optionen zum Musikmachen geboten und ein länderübergreifender Dialog gefördert werden. Schließlich steht auch bei Superar die Kreativität mit „ansteckender Freude“ im Vordergrund der Bemühungen.

Und dann wurde die Kinderoper überhaupt nicht erwähnt, die Dominique Meyer im Théatre des Champs Élysées sogar auf der Hauptbühne brachte und die nun in Wien auf der Agrana Studienbühne stattfindet. Es gibt sie auch in Bayreuth. Sie scheint aber keine allzu große Wirkung im Hinblick auf eine signifikante Zunahme ganz junger Opernbesucher zu zeitigen. Da spielen doch noch andere Faktoren eine Rolle.

Es sollte auch das immer mehr im Mode kommenden Life-Streaming nicht unerwähnt bleiben, das mit der intensiven Kinopolitik der Metropolitan Opera New York seinen Anfang nahm. Wie kann man nun die auf der ganzen Welt über Internet zugängliche Oper und Konzerten von ersten Häusern für die Erweckung des Interesses junger Menschen an klassischer Musik nutzen? Da gäbe es viele Möglichkeiten…

Von den o.g. drei Modellen könnte man sicher auch in Österreich an Erfahrung mit dem Thema dieser „Kontrapunkte“ gewinnen und in die nationale Politik einbringen. Insofern waren diese „Kontrapunkte“ nicht ganz so kontrapunktisch.…                         

Klaus Billand

 

Apropos: PIOTR BECZALA WIRD HOHNLACHEN

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Piotr Beczala wird hohnlachen

Es klingt ein wenig affektiert, aber wenn man für den Online Merker Interviews machen darf, passiert es schon, dass man über einen Welttenor nach dem anderen stolpert. Und interessanterweise war Lohengrin oft das Thema.

Piotr Beczala sprach ich gleich nach seinem Dresdener Triumph – und musste natürlich auch nach Bayreuth fragen. Und da war der Künstler begreiflicherweise verstimmt, denn es hieß schon, dass man dort auf die Netrebko hoffte, während von ihm nicht die Rede war. Da bohrt man besser nicht nach, aber dass es ein Stachel im Fleisch ist, kann man sich vorstellen.

Roberto Alagna habe ich anlässlich seines Wiener „Troubadour“ gesprochen, und er hat mir ausführlich erzählt, wie Thielemann und Katharina Wagner ihn mit Anrufen bombardiert und bekniet hätten, den Lohengrin zu singen. Seither habe er den „Score“ (ich nehme an, einen Klavierauszug) immer bei sich, die Rolle sei nicht so schwierig, er habe längere und schwerere gesungen, es gehe eher um die deutsche Sprache. Aber Aleksandra könne ihm da helfen… Von der Netrebko als Elsa war nicht mehr die Rede, und Alagna erwähnte, dass er seiner Gattin Aleksandra Kurzak die Rolle ohne weiteres zutraute. Nun, Bayreuth tat das offenbar nicht, man verpflichtete die bewährte Anja Harteros. Ich würde wetten, aber wer hielte dagegen, mit Aleksandra an seiner Seite hieße der diesjährige Bayreuther Lohengrin doch Alagna…

Andreas Schager hat vom Lohengrin gesprochen, er plant ihn erstmals für Wien Ende Oktober. Da er in Bezug auf den Stolzing, den er auch einmal vor hat, bemerkte, solche Rollen schüttle man nicht aus dem Ärmel, hat er den Schwanenritter wohl noch nicht dermaßen „fertig“, dass er hier für die Bayreuther Premiere am 25. Juli in die Rolle „köpfeln“ würde.

Ja, Klaus Florian Vogt wäre da, aber der ist als Stolzing ausreichend beschäftigt. Will Bayreuth sich nicht blamieren und nicht mit einem „zweiten“ Namen kommen, bliebe Katharina Wagner wohl nur eines übrig: Vor Jonas Kaufmann und Nikolaus Bachler auf den Knien zu rutschen, den Tenor von den Münchner Opernfestspielen (er soll neben dem Parsifal noch den Siegmund singen) loszueisen und an den Grünen Hügel zu holen. Aber auch das ist schwer vorstellbar, zumal Kaufmann noch jede Menge Konzerte im Fahrplan hat.

Kurz, man möchte nicht in der Haut der Intendantin und des Dirigenten stecken. Dass sie Alagnas Angebot (wie Manuel Brug schreibt), den Lohengrin 2019 in Bayreuth zu singen, annehmen werden, kann ich mir übrigens nicht vorstellen. Ist eine Absage drei Wochen vor der Premiere schon ein Skandal – dann ins nächste Jahr zu vertrösten, das ist blanker Hohn.

Und Piotr Beczala? Der ist auch voll gebucht. Sicher, ein Bayreuth-Debut wäre g’schmackig gewesen. Aber als Notnagel? Ich kann mir vorstellen, dass er hohnlachen würde, wenn man wagte, an ihn mit dieser Frage heranzutreten.

Renate Wagner

BUDAPEST – WAGNER TAGE – Camilla Nylund: WAGNER UND SEINE ZEITGENOSSEN

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Helmut Deutsch, Camilla Nylund. Photo © János Posztós, Müpa Budapest

BUDAPEST-WAGNER TAGE – Camilla Nylund: WAGNER UND SEINE ZEITGENOSSEN am 15. Juni 2018

 Schon seit vielen Jahren ist die finnische Sopranistin Camilla Nylund aus Vaasa als ausgezeichnete Wagner-Sängerin weltweit bekannt, mit großer Erfahrung in Bayreuth und auf fast allen großen deutschen Bühnen, sowie natürlich auch weit darüber hinaus. Schwerpunkte ihres Opernrepertoires sind Wagner, R. Strauss, Mozart, Verdi, und natürlich auch Fidelio. Nylund hat auch ein breites Konzert-Repertoire. Marksteine waren in den letzten Jahren ihre „Tannhäuser“-Elisabeth und Sieglinde-Interpretationen. Im Rahmen der von Ádám Fischer geleiteten Budapester Wagner Tage 2018 kam sie in den Palast der Künste und gab einen Soloabend zum Thema „Richard Wagner und seine Zeitgenossen“, obwohl diese Eigenschaft eher in Bezug auf die letzte Epoche der Schaffenszeit des Bayreuther Meisters zu verstehen ist. Zur selben Zeit war Nylund ja als Agathe im neuen Wiener „Freischütz“ tätig.                                                           

Wie im Programmheft zu lesen ist, träumte Camilla Nylund als junges Mädchen zunächst von einer Karriere als Popmusikerin. Später aber erwachte ihr Interesse für die Musik, und sie erwarb ein Diplom am Mozarteum Salzburg. International bekannt wurde sie mit dem Fidelio, der „Tannhäuser“-Elisabeth und der Salome. Richard Strauss ist auch ihr Lieblingskomponist. Sie arbeitete mit fast allen namhaften Maestros unserer Tage. Ihr Partner an diesem Abend, nach dem „Tristan“ und „Tannhäuser“ im Bela-Bartok-Saal des MÜPA, war der weltbekannte Wiener Pianist Helmut Deutsch, der große und größte Sänger über Jahrzehnte begleitet hat, so wie derzeit Jonas Kaufmann, Diana Damrau und Michael Volle.

Der Abend konzentrierte auf Kompositionen der spätromantischen Epoche, die man normalerweise mit Orchesterbegleitung hört. So wurde mit der Klavierbegleitung eine intimere Atmosphäre für die Interpretation der Werke von Jean Sibelius (1865-1957), Gustav Mahler (1860-1911) und Richard Strauss (1864-1949) geschaffen. Und diese intime Wirkung stellte sich unmittelbar ein, nicht zuletzt durch das exzellente Verständnis zwischen Sängerin und Begleiter.

Nylund beginnt mit einer Serie von Jean Sibelius-Liedern auf Finnisch, die kaum über skandinavische Grenzen hinaus bekannt sind. Es beginnt mit dem kontemplativen „The Echo Nymph“, op. 72, No. 4, geht über „Reed, Reed, Rustle“, op. 36, No.4, mit seiner großen Ruhe und schönen Piani weiter mit „The Diamond on the March Snow“, op. 36, No. 6 mit von Nylund wunderbar warm und klangvoll angesungenen Höhen. Es folgt „What is a Dream?“, op. 37, No. 4, mit eindrucksvollen Tiefen, in denen die Sängerin ihren warmen und bestens geführten Sopran zunächst mit großer Ruhe und am Ende steigender Dramatik hören lässt. Es folgt „Arioso“, op. 3 mit gut gelungenen Registersprüngen, sowie „The Girl Returned from Meeting her Lover“, op. 37, No. 5, schon schneller im Tempo und dynamischer im Ausdruck. Die Serie schließt mit den „Black Roses“, op. 36, No. 1, in denen Nylund bei hoher Dramatik ihre Top-Höhe unter Beweis stellt und damit einen spektakulären Schlusspunkt setzt.

Dann kommt eine Lied-Serie aus „Des Knaben Wunderhorn“ von Gustav Mahler (zusammen gestellt von Arnim und Brentano). Mit „Wo die schönen Trompeten blasen“ zeigt Nylund ihre perfekte Liedstimme mit bester Diktion, auch für den des Finnischen nicht Mächtigen. Im dynamisch voranschreitenden „Das irdische Leben“ lässt Nylund am Ende eine beeindruckende Tiefe hören. In „Wer hat dies Liedel erdacht?“ singt sie nach dem langen Klaviervorspiel lyrisch, Ruhe ausstrahlend und schließlich gar kontemplativ. In „Urlicht“ kann sie schöne langen Bögen spannen, und in „Verlorne Müh!“ große Dynamik und ihre perfekte Diktion unter Beweis stellen. Im abschließenden „Trost im Unglück“ kommen rhythmische Züge zum Tragen. Auch hier zeigt Camilla Nylund ihre dramatische Sicherheit.


Camilla Nylund. Photo © János Posztós, Müpa Budapest

Nach der Pause geht es mit den Wesendonck-Liedern von Richard Wagner weiter, in denen Nylund großen stimmlichen Variationsreichtum und Gefühl für Emphase zeigt. Auch wird hier besonders offenbar – man kennt es halt auch besser – welch ausgezeichneter Begleiter Helmut Deutsch ist, besonders bei der Einleitung zu „Schmerzen“. Bei „Im Treibhaus“, der Studie zu „Tristan und Isolde“, erleben wir Nylunds herrliche Phrasierung bei sorgsam strukturierten Höhen und großer Kontemplation. Auch beeindrucken hier wieder ihre wundervollen Piani. In „Schmerzen“ spürt man gesanglich den Drang Mathildes zu Wagner zu kommen, von der Villa ins Asyl… Im abschließenden „Träume“ zeigt Nylund ihren langen Atem und die Leuchtkraft ihres Soprans. Wenn sie die Träume gesanglich „in die Gruft“ sinken lässt, meint man in der Tiefe ihrer Stimme die ewige Ruhe zu gewahren…

Schließlich kommt sie zu ihrem geschätzten Richard Strauss, mit einer Reihe von Liedern, die im Programmheft als „perfekte Mini-Dramen“ charakterisiert werden, die des Komponisten brillantes Opernwerk anklingen lassen. In „Heimliche Aufforderung“ klingt wieder Nylunds Potenzial für dynamischen Ausdruck durch. In „Die Georgine“ sind schöne dunkle Schattierungen zu hören, die den guten Übergang vom hohen Sopran in eine dunkle Mittellage dokumentieren. In „Die Verschwiegenen“ ist Energie und Erratik zu hörten. In „Freundliche Vision“ singt Nylund sehr sublim und kontemplativ. In „Ich liebe dich“ ist dramatische Energie angesagt, mit großer Mimik und auch extremer Tiefe. Am Schluss setzt Nylund eine fast Brünnhilde-artige Höhe oben drauf! Im abschließenden „Cäcilie“ beweist die Sängerin auch ihr exzellentes Legato.

Drei Zugaben muss sie dem begeisterten Publikum gewähren, und sie und Helmut Deutsch machen es gern: Auf Sibelius: „Varen Hyktar hastig“, op 13. No 4., folgen Richard Strauss‘ „Zueignung“, op 10. No 1. und Hugo Wolfs „Auch kleine Dinge können uns entzücken“.

Es war ein ganz besonderer Abend zu Richard Wagner und seinen (späteren) Zeitgenossen!          

  Klaus Billand

WIENER STAATSOPER: NEUER CASTINGDIREKTOR FÜR DIE ÄRA ROSCIC

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Bildergebnis für zu viele köche

Wiener Staatsoper „neu“: Das „Roscic-Team“ nimmt Gestalt an

Nun hat der designierte neue Staatsoperndirektor einen Chefdramaturgen (Sergio Morabito ist ein linksideologischer, intelligenter Mann), der ihm die Regisseure aussuchen soll. Aber nicht nur den hat er. Er hat seit kurzem endlich auch einen Castingdirektor, sehr spät zwar, aber hoffentlich nicht zu spät.  Bisher werkte als Besetzungssucher der von Drodza wohl als Bedingung eingesetzte Dr. Florian Schulz, der zwar ein Opernfreund ist, aber zu wenig Ahnung von der Materie hatte, um einem Haus künstlerisches Sängerprofil zu geben. Angeblich soll Ex-Staatsoperndirektor Ioan Holender sogar Auftrag erhalten haben, die Besetzungen für die Premieren der ersten Saison zumindest mitauszusuchen. Dazu passend ist eine Betriebsdirektorin aus der Ära Holender, die offensichtlich den künstlerischen Alltagsbetrieb weiterhin leiten wird, sowie ein Chefdirigenten und Herr Dr. Schulz, von dem man nicht so recht weiß, ob er der Betriebsdirektor werden wird, dem man Sabine Hödl als eine Art Chefdisponentin unterstellen wird oder ob er als pers. Referent des Direktors eher im administrativen Bereich arbeiten wird.

Somit sind nun alle wichtigen Entscheidungsbereiche abgedeckt und wir dürfen uns wohl ernsthaft fragen, was der Direktor selber noch entscheiden wird und wo man ihn denn dann noch braucht? Prinzipiell ist nichts dagegen einzuwenden, wenn er sich gute Berater und Vertraute an das Haus holt für die Bereiche, in denen er nicht so firm ist, aber alle Bereiche aus der Hand zu geben, bedeutet doch, dass er alles abgibt, was dem Haus ein persönliches Profil  geben könnte. Wozu brauchen wir dann noch für viel Geld auf einem hoch dotierten Job jemanden, der alle wichtigen Entscheidungsposten an andere abgibt?

Soweit eine Information, die mir zugegangen ist. Darüber kann es natürlich auch eine andere Meinung geben. Wenn sich  Herr Roscic in der Lage fühlt, all diese Synergien zu bündeln, sich die Letztentscheidung in all diesen Bereichen vorbehält, dann könnten auch diese „vielen Köche“ nicht den Brei verderben.

Bildergebnis für graue eminenz

Es heißt, Ioan Holender habe die entscheidende Weichenstellung initiiert. Ob das stimmt, weiß ich nicht, zuzutrauen wäre es ihm aber

Man mag zu Holender stehen, wie man will, aber der Mann hat in seiner Direktionszeit alles entschieden, von den Regisseuren angefangen bis zu den Dirigenten und Sängern, von denen nicht einmal jene für die kleinsten Rollen von ihm Vertraute auswählen durften. Das ist aber auch die eigentliche Aufgabe eines Direktors, die ganze Sache zu steuern und so dem Haus Profil zu geben.

Bildergebnis für teuer

Was ist teuer, was ist zu teuer? Personelle Fehlentscheidungen sind auf jeden Fall zu teuer. Im „Roscic-Team“ sind aber Fachleute vertreten. Ob diese auch zu Wien passen, wird sich weisen (den Herrn Schläpfer lasse ich da aus dem Spiel, der ist für Ballett zuständig und stört hoffentlich die Oper nicht zu sehr). Wien ist ein ganz schwieriger Boden, das musste auch der amtierende Direktor erst mit der Zeit erkennen. Ein Fehler in Wien ist ein Fehler zuviel!

Ein Vergleich „Team Holender“ und „Team Roscic“:

 Holender hatte:

-) eine Betriebsdirektorin und die dazu nötige Abteilung für den künstlerischen Betrieb

-) einen Chefdirigenten

-) eine Dramaturgie, die aber so gut wie gar keinen Einfluß hatte

 Also mehr oder weniger 2 Abteilungen, die ihn im künstlerischen Bereich unterstützten

 Roscic wird folgendes haben:

-) einen Chefdramaturgen, zuständig für die Auswahl der Regisseure

-) einen Chefdirigenten

-) einen Castingdirektor

-) eine Betriebsdirektion

-) ein hoch dotiertes Direktionsmitglied (Dr. Schulz), das entweder den Direktor vertreten oder im künstlerischen Betrieb eingeordnet werden wird

 Das ist ein kostspieliger, mehr als doppelt so großer Stab als ihn Holender hatte.

 Darüber darf man wohl in Zeiten wie diesen erst recht laut nachdenken.

Natürlich kommt es auf die Qualität des Personals an, unnötige Posten gibt es nicht nur in Opernhäusern, sondern auch in vielen Firmen. Ob der „Betrieb Roscic“ nun teuer oder zu teuer ist, werden wir erst wissen, wenn „der Laden angelaufen ist“ .

Wir werden die  Entwicklung im Auge behalten!

Und schon gibt es eine Leserreaktion:

Guten Morgen, wie ich heute so den Anfang Ihres Tageskommentars lese kam mir in den Sinn, wie seinerzeit Dr. Egon Seefehlner als Direktor zurückgeholt werden musste nachdem Lorin Maazel scheiterte. Ich denke …

Ja, bitte denken! Ich denke mir auch etwas. Schreiben ist aber zu gefährlich!

Das „Standbein“ Sabine Hödl, eine gute Kraft und sehr treu, sie arbeitete schon bei Holender in der Mariahilferstraße, bleibt!!!!!!

http://historisch.apa.at/cms/apa-historisch/dossier.html?dossierID=AHD_19550928_AHD0217

 

Gedanken zu Inszenierungskonzeptionen i. S. gesellschaftlicher Theaterreflektionen von Tim Theo Tinn:

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Gedanken zu Inszenierungskonzeptionen i. S. gesellschaftlicher Theaterreflektionen von Tim Theo Tinn:

Der Mensch – auf der Suche nach dem besseren Ich – vom erdgebundenen Ego zum übergeordneten Sein – Selbstzerstörung oder Bewusstseinssprung?

„Wenn die Geschichte der Menschheit der klinische Zustandsbericht eines einzelnen Menschen wäre, müsste die Diagnose lauten: chronische paranoide Wahnvorstellungen, pathologischer Hang zu Mord und anderen extremen Gewalt – und Gräueltaten – verbrecherischer Wahnsinn!“(F. Tolle, 2005) . Ein Menschenleben: Geburt, Wachstum, Erfolg, Gesundheit, Vergnügen und Gewinn – Verlust, Misserfolg, Alter, Verfall, Schmerz, Tod. Was ist gut, was ist schlecht? Gibt es Ordnung/Unordnung? Bestimmt Realität das Ego? Führt Fiktion zum Sein (Geist wird Materie)? Bringt der Traum dem Träumer Bewusstheit? Gibt es Moral? Identifizieren sich Menschen nur mit ihrer physischen und psychischen Gestalt, entgeht ihnen das tiefinnere Wesen?

Shakespeare: „An sich ist nichts weder gut noch böse, das Denken macht es erst dazu!“ (Hamlet)

Dies ist eine Kernaussage zur gegenwärtigen Menschensituation. Das Denken geht immer über ein Jetzt, ein Hier, ein Sein hinaus, setzt auf Erinnerungen und Erwartungen, ist von subjektiven Empfindungen getrieben. Gedanken sind konditionierte Denkmuster versus unkonditionierter Bewusstheit. Verstand ist nicht auf die große Wahrheit ausgerichte,t sondern nur auf die kleine Dinge des Lebens.

Worte resultieren aus Gedanken, sind nicht in der Lage Umstände und Wesenheiten über die bloße Etikettierung in breiter Tiefe auszuloten, geprägt aus Erwartung und Erinnerung (Zukunft und Vergangenheit). Das Phänomen der menschlichen Wahrnehmung erfolgt max. mit 10 % Ratio, der Rest ist Emotio, geprägt in beschränkter Entwicklung des einen Lebens. Diese Erfahrung wird in Managementschulungen vermittelt, erlebbar täglich in der Werbung und nicht zuletzt auch in der Politologie- bzw. Wahlforschung.

Nur wenige Menschen sind heute schon von einer einfachen Freude am Sein erfüllt und können diese auch kaum leben. Gehindert von Urtriebkräften unbewusster Identität: Begehren, Furcht, Angst, Stress, Negativität prägen die Zuflucht zu Lust und Leid. Unsere Wahrnehmungen sind auf das kleine Spektrum unserer Sinne ausgerichtet: was wir hören, sehen, riechen, schmecken, berühren.

Der einzige Übeltäter ist die menschliche Unbewusstheit, die nicht an die Kraft der Gegenwärtigkeit reicht. Noch sitzt die Menschheit in der eigenen Hölle – aber im evolutionären Impetus des Universums, im Weltenplan ist vorgesehen, dass die Menschen sich zu bewussten Wesen entwickeln.

Unglücklichsein ist der Oberbegriff einer unbewussten Welt in Feindseligkeit und Verbitterung, in Gegnerschaft und Konflikten. Heute ist Gewalt überall. Die bisherige Menschheitsgeschichte ich eine Fallstudie des Irrsinns! Wird sie zur Geschichte des bloßen Seins in Liebe und Freude, Frieden, Glück, in Bewusstheit? Endet die Entfremdung der Menschen?

Wie werden sich die Menschen in ihrer fortschreitenden Evolution entwickeln? Schon immer kam es in der Menschheitsgeschichte zu utopischen Visionen, die aber noch mit Enttäuschungen und Katastrophen endeten. Ideale fanden ihre realen weltlichen Umsetzungen in totalitären Systemen (z. B. Kommunismus), in Unfreiheit, in Völker – und/oder Massenmorden (z. B. Kath. Kirche–Inquisition, Hexenverfolgung, bis 5 Mio. Morde)!

Die Menschheit hat mehr unter ihresgleichen gelitten als unter Naturkatastrophen. Im letzen Jahrhundert starben mehr als 100 Mio. Menschen durch Kriege, Massenvernichtung, Völkermord und es geht weiter. Das latente Unglücklichsein der Menschen begründet sich immer noch in der Rechtfertigung negativer Gemütsregungen wie Wut, Angst, Unruhe, Hass, Groll, Unzufriedenheit, Neid Eifersucht, Traurigkeit, Abscheu, Machttrieben. Weiter Belege für die menschliche Funktionsstörung ist die beispiellose Gewalt von Menschen zu anderen Lebensformen und der Erde selbst: Zerstörung von sauerstoffproduzierenden Wäldern, von Fauna und Flora, Tierquälerei in der industriellen Landwirtschaft, Vergiftung von Flüssen und Meeren, Verschmutzung der Luft = die globale Selbstzerstörung der Menschen und der Welt.

Wir leben insbesondere seit dem letzten Jahrhundert im steigenden Wahnsinn, apodiktisch von großer Intelligenz getragen (Kernspaltung = Atombombe, blinde Ertragsmaximierung = Umweltzerstörung, Menschenverachtung, Kriege, Rassenwahn, usw.) Noch begründet unsere Konsumgesellschaft Fortschritt als unkontrolliertes Streben nach Wachstum, nach materiellem Mehr. Perfide wird dies in Formulierungen wie „negatives Wachstum“. Bei Krebszellen entlarvt sich diese Störung der unmaximierten Vermehrung als todbringende Selbstzerstörung.

Seit 1973 haben die Menschen die Hälfte der Tier und Pflanzenwelt ausgerottet. Menschen haben in den letzten Jahrzehnten der Erde größere Wunden zugefügt als in der gesamten Zeit von Beginn der Menschheit bis zum zweiten Weltkrieg. Die Verdrängung des ökologischen Desasters in Massenmedien und Politik gibt zukünftigen Generationen kaum lösbare Probleme.

Jesus: „Denn siehe, das Reich Gottes ist Mitten unter uns!“ – zeigt auf, dass Hoffnung auf Besserung/Glück besteht!

Musiktheater ist Parallelwelt in der die ewigen Theaterthemen „ Sein/Schein – Wahrhaftigkeit/Wirklichkeit“ ihre Urstände finden. Dunkle Mächte der Libretti werden von der Musik aus der zeitgebundenen Realität in überhöhtes zeitloses Sein, in Bewusstheit geführt, losgelöst vom Hier, vom Morgen und Gestern.

Inszenierungen können mögliche Zeitenwenden antippen – vom erdgebundenen Menschen zum übergeordneten Sein. Ein Menschenbild kann im Theater das Leben mit äußeren und inneren Zielen reflektieren. Das äußere Handeln wird von veränderbaren weltlichen Motiven bestimmt, geboren von begrenztem Denken und emotionalen Prägungen eines Menschenlebens. Das innere Ziel/Handeln führt zum Sein, zur Bewusstheit, verbunden mit einer universellen Intelligenz: Der Mensch kann damit den Irrsinn unserer Zivilisation verlassen, ursprünglichen Zielen folgen. Damit wird eine Basis zu neuer Wirklichkeit, einer neuen Welt angelegt.

Während aktuell Inszenierungen häufig dramaturgisch ins heute gerückt werden, quasi als Spiegel und Reflexion der Inhalte zu gegenwärtigen gesellschaftlichen Verhältnissen, die Darsteller oft als normale Menschen in den Mittelpunkt dramatischer Konflikte gestellt werden (die damit mglw. nur an gegenwärtigen grundsätzlich maroden Zuständen gemessen werden), könnte man die Handlungsmuster auch aufbrechen, das anzustrebende Sein in Bewusstheit, die Möglichkeit des Bewusstseinssprungs deutlich vom Menschen als Untier (Assoziationsmontage nach Eisenstein) in überzeitlicher Optik abgrenzen.

Viele Handlungsstrukturen dramatischer Werke lassen sich in dieser Zuspitzung im dramatischen Höhepunkt deutlich kontrastieren: Darsteller sind kaum noch „normale Menschen“, eher verfremdete Prototypen (s. Felsenstein), die ästhetisch stilisiert werden. D. h. auch in der praktischen Umsetzung können alle visuellen Möglichkeiten mit Maske, Kostüm, Licht in flustrativen Farbdramaturgien ausgenutzt werden (z. B. Neugebauer, Ponelle – Theater der Affekte und Assoziationen = Eisenstein)!

Was sind Arien? – Ausdruck eines höheren Ichs, in moralisch bewerteten Umständen?
                               – Deklamation von Gedanken in aller Subjektivität innerer Seelenzustände?
                              – Ausdruck des universellen Seins, des inneren höheren Selbst?
                              – Zusammenfassung von Gedanken, Zwiegespräch mit Wirklichkeit oder innerem Selbst?
                              – Pure Selbstgespräche?

Ist mehrstimmiger Gesang, Duette, Terzette usw, immer gemessen an der Wirklichkeit, Ausdruck subjektiver Realität?

Große Komponisten offenbaren eine Welt, eine Parallelwelt im außerrationalen Sein, spiegeln uns in irrationalen Tiefen, geben einer begrenzten Wirklichkeit tiefe Wahrhaftigkeit, führen vom einfältigen Schein zum universellen Sein. Begnadete Komponisten sind in der Musik im erhabenen Selbst, im übergeordneten Sein. Daher spricht eine richtige Musiktheaterinszenierung überwiegend Emotio an, kann somit Inhalte über reiner Rationalität vermitteln. Noch wird dies von den meisten Menschen nicht als Wegweiser, sondern lediglich als Ausflug, als Stippvisite in ein schönes, gutes Gefühl benutzt, um danach unberührt zurückzufallen in ihr falsch reflektiertes, subjektives Ich.

Kann sich der Mensch aus der Gefangenschaft seiner eigenen Persönlichkeit befreien, sich der völligen Erdgebundenheit entziehen?? Dieser mögliche Bewusstseinssprung ist das zentrale Thema aller großen Weisheitslehren seit über 2500 Jahren. Die Suche nach Glück, Moral, dem Guten ist ebenso Thema der Philosophie und später auch der Soziologie, Hirnforschung etc.

Der Mensch in seiner Normalität erzeugt Leiden, Unzufriedenheit , Qual! (Buddha)

Die „normale“ Geistesverfassung der meisten Menschen hat starken Anteil von Gestörtheit, Wahnsinn, Leben in Täuschung! (Hinduismus)

Die kollektive Verfassung der Menschheit ist der Zustand der Erbsünde = Verfehlen des Zieles des Menschseins! (christliche Lehre)

Philosophen bemühten sich mit dem beschränkten Instrument „Denken und Sprache“, die wirklich große universelle Wahrhaftigkeit des Seins rational zu ergründen und deskriptiv zu machen, versuchten zu ergründen, warum und ob der Mensch gut oder schlecht angelegt ist! Mit dem Dilemma des Denkens als winzigem Bruchteil des Bewusstseins

Philosophische Thesen (rudimentär):

Epikur ( 341-270 v. Chr.) : widersprüchliche Natur der Menschen: Glück kann und muss aktiv hergestellt werden, entsteht nicht von allein

Nietsche (1844-1900): Mensch = Tier, bestimmt durch Triebe und Instinkte, primitiven Willen, eingeschränktes Erkenntnisvermögen. „Wir habe nie nach uns gesucht, wie sollte es geschehen, dass wir uns eine Tages fänden?“

Kant (1724-1804): „Dabei bestimmt unsere Aufmerksamkeit über unser Fühlen und Denken, sowie umgekehrt unser Fühlen und Denken unsere Aufmerksamkeit bestimmt“. Räumte ein: „Das Ich ist Gegenstand des inneren Seins, im Gegensatz zum äußeren Sein, dem Körper. Das einzig gute am Menschen ist sein guter Wille“. Wollen die Menschen gut miteinander auskommen, müssen sie diesen Willen befolgen – daraus = kategorischer Imperativ! Wenn der Mensch in der Lage ist, gut sein zu wollen, so soll er auch gut sein sollen

Schopenhauer (1788-1860): „Wir sind eben bloß zeitliche, endliche vergängliche, traumartige, wie Schatten vorüberfliegende Wesen. Der Mensch wird nicht durch Vernunft geführt und geleitet“. Moralisch ist: Welt in 2 Teile zu bringen: was er ächtet und was er achtet Mensch ist ein moralbegabtes Tier, Moral ist angeboren, ethisches Verhalten ist ein komplexer Altruismus aus Gefühlen und Abwägungen. Es gibt kein moralisches Gesetz (gegen Kant), das zum Gutsein verpflichtet.

Descartes (1596-1650): Cogito Ergo sum. Ich denke, also bin ich (widerlegt u. a. von Sartre)

Rouseau (1712-1778): der Mensch ist von Natur aus Gut, wird aber durch unsere Einrichtungen böse. Angeborene Liebe zum Guten – Unsinn?

Huxley (1894-1963): Wille zum Guten oder zur Vernunft ist keine Eigenschaft der Natur. Der Mensch ist von Natur aus schlecht. Woher kommt dann das Gute?

Bentham (1748-1832): Glück ist gut, Leiden ist schlecht! Moral ist die Frage kultureller Sensibilisierung, weniger Abhängigkeit von abstrakten Definitionen des Menschseins als vom Erfindungszustand einer Gesellschaft.

Nach Hobbes (1588- 1679), verhält sich der Mensch gegenüber seinen Mitmenschen unmenschlich! („homo homini lupus“, Zitat des römischen Komödiendichters Plautus (254-184 v. Chr.)

Weiteres: Fähigkeit zum Guten ist ein urweltlicher Instinkt. Der Mensch ist weder gut noch schlecht – zu beidem fähig. Er ist eigentlich brav, friedlich und gut, trotzdem gibt es Lug, Trug, Mord und Totschlag. Woher kommt das Böse und moralisches Verhalten? Im Menschen ist Moral als überzeitliches Sein und Handeln angelegt, das Wissen um Besserung, Gewissen, Gutes und Glück.

Goethes Faust – Zitat : „ Zwei Seelen wohnen Ach!, in meiner Brust!“ geht auf den Menschen in seiner Zerrissenheit zwischen hellen und dunklen Mächten ein

Der traditionelle Glaube resultiert i.d.R. aus dem Verstand, einem Denken, das der Mensch in seiner Sozialisation nach seiner Geburt in aller Beschränktheit entwickelt hat, abhängig von Emotionen und Eindrücken, die nicht zum unverrückbaren überzeitlichen Sein gehören, sondern der gleichmachenden Gegenwart in aller Unfertigkeit entstammen. „Anpassung heißt Gratifikationsoptimierung!“ Ein Theorem der Soziologie ist ein Ärgernis bzgl. des sanktionierten Opportunismus!

Hiermit schöpfen Menschen die Legitimation für alle Untaten trotz besserer Ahnung. Eine variable Pseudomoral ersetzt überzeitliche universelle Werte. Die Antipoden sind Gut und Böse.

Heutige evolutionsbiologische Erklärungen des Lebenssinns: Anpassung und Mutation! Aber der Mensch ist nicht einfach Natur, sonst wäre er nicht in der Lage mit Hilfe der Technik die eigenen Lebensgrundlagen zu zerstören- ein klarer Widerspruch von Anpassung als allgemeinem Lebensprinzip

Diese Kernthemen versuchen Wissenschaften also seit Jahrtausenden erklärbar zu machen – heute sogar so konkret, dass man in der Hirnforschung im Hirn den Ort der Moral mit Kernspinnt oder in aufgeschnittenen Hirnscheiben sucht. Aber auch Hirnforscher haben bis heute kein Zentrum für Moral im Gehirn gefunden. Was steuert unsere Fähigkeit von der Moral Gebrauch zu machen? Aktuelle Forschungsergebnisse der Hirnforschung: Mensch ist unfrei, Produkt seiner Anlagen, Erfahrungen, Erziehung!

Nicht taghelles Bewusstsein sagt uns, was zu tun ist, sondern nachtdunkles Unterbewusstsein.

Das „Ich“ mit den zugehörigen Pronomen, dieses trügerische Identitätsgefühl wurde von Einstein als „optische Täuschung des Bewusstseins“ bezeichnet. Diese illusorische Ich ist die Basis aller täuschenden Wirklichkeit.

Denken und Fühlen in der Entwicklung eines Menschenleben bestimmen in Subjektivität und Relativität das individuelle Ego. Bewusstheit entspringt dem außerzeitlichen Sein im Hier und Jetzt, ist vorhanden, aber noch meistens unterdrückt oder unbewusst. Der Mensch und sein Ich/sein Ego sind nicht kongruent – wie konnte die Menschheit drauf so lange hereinfallen?

Ist gegenwärtig der Höhepunkt der menschlichen Evolution erreicht? Wissen um zentrale Moral hat stark zugenommen.

Glück für die Menschen ist mehr als schlichte Emotion, als abstrakte Vorstellung von Harmonie, Einklang, Intensität, Einheit, Freiheit und Sein!

Betrachten wir erdgeschichtliche Sprünge in neuen Seinsebenen: in einfachen Steinen ist und war die Entwicklung zum Diamanten/ zu Edelsteinen angelegt, einfache Grünpflanzen entwickelten Blüten, aus kriechenden Viechern/Echsen wurden Vögel. Alles hat Wirkungen auf Menschen, die rationale Bereiche verlassen.

Diese Sprünge in eine völlig andere Seinsebene werden mit diversen Erklärungen durch Menschen ausgestattet –aber dies war keine planvoll strukturierte Entwicklung! Nutzt der Mensch seine Chance eine erlösende Seinsebene zu erreichen bzw. kann er überhaupt diesen Sprung bewirken, oder wird er irreversibel evolutionsweise geschehen, aus einer Fügung im Weltenplan? Das Untergehen der Sowjetunion ist ein Beispiel für eine mögliche Seinswende, ebenso wie die beginnende Auflösung des gegenwärtigen weltbeherrschenden Banksystems.

Internationalen Wirtschaft bietet heute noch ein Umfeld, wo das Zitat von Hobbes/ Plautus noch archaische Urstände feiert, somit könnte Theater ganz besonders intensiv zu vorgenannten Themen reflektieren

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