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MADRID: 1. Welt-Opern-Forum (WOF) vom 12.-15.4.2018

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Copyright: Javier del Real/ Teatro Real

MADRID: 1. Welt-Opern-Forum (WOF) vom 12.-15.4.2018

Vom 12. bis 15. April war ich als Vertreter des Neuen Merker vom Teatro Real in Madrid zum 1. Welt-Opern-Forum eingeladen, das u.a. aus Anlass des 200-jährigen Bestehens des Teatro Real hier veranstaltet wurde. Dieser globale Event brachte zum ersten Mal die internationalen Dachverbände der Operntheater und Musikfestivals – Opera Europa, Opera America und Opera Latinoamérica – zusammen, mit Vertretern aus Asien und Ozeanien, die noch keinen Dachverband haben. Insgesamt kamen 270 Teilnehmer und TeilnehmerInnen aus aller Welt, vorwiegend CEOs, also IntendantInnen, GeneraldirektorInnen, FestivalleiterInnen, OperndirektorInnen und LeiterInnen der entsprechenden Sparten der Opernhäuser und Festivals, Technische DirektorInnen, RegisseurInnen sowie KomponistInnen etc. 

Das Forum behandelte vier große Themen:

  1. Oper als kulturelles Erbe,
  2. Neue Werke,
  3. Oper und kulturelle Diversität im 21. Jahrhundert, und
  4. Rechtfertigung (advocacy) der Oper.

In einer perfekt organsierten Abfolge von Plenums und sog. Break-Out Groups gab es interessante und zum Teil sehr engagierte Debatten zu den einzelnen Themen mit einem starken Akzent auf einer interkulturellen Sichtweise und dem Zukunftspotenzial der Oper als Kunstform.

Der Eröffnung des WOF am 12. April ging eine internationale Pressekonferenz voraus mit dem gastgebenden Generalmanager des Teatro Real, Ignacio García-Belenguer Laita, dem Präsidenten & CEO von Opera America, Marc Scorca; dem Opera Europa Direktor Nicholas Payne und der Präsidentin von Opera Latinoamérica und Generaldirektorin des Teatro Colón, Buenos Aires, María Victoria Alcaraz, im Panel. García Belenguer gab die Präsenz der vertretenen Opernkompagnien mit etwa 150, die Zahl der TeilnehmerInnen mit etwa 350 und die Zahl der RednerInnen mit etwa 100 an. Nicholas Payne sagte, dass die Oper mit nun etwa 420 Jahren Alter keineswegs mehr nur eine europäische Kunstform sei. Sie sei eine Kunstform für die ganze Welt. Deshalb mache es auch Sinn, Menschen aus der ganzen Welt zu diesem WOF zusammen zu bringen, um die Probleme der Oper, aber auch ihr Potenzial zu diskutieren. Zu Zeiten von Monteverdi und selbst Mozart sahen nur wenige Leute Opernaufführungen. Nun ist das weltweit in Kinos und über Lifestreams möglich, sodass das weltweite Publikum in die Millionen geht bzw. gehen wird. Deshalb müsse man nun auch versuchen, die moderne Gesellschaft mit einbeziehen.


Die Vorsitzenden der Regionalverbände und der Generaldirektor des Teatro Real. Nicholas Payne, Ignacio García-Belenguer Laita, Maria Victoria Alcaraz, Marc Scorca. Foto: Dr. Klaus Billand

María Victoria Alcaraz führte aus, dass Opera Latinoamérica erst 10 Jahre alt ist und 25 Opernkompagnien vertritt. „Alles kam von Europa!“ Aber es sei wichtig, weiterhin den Austausch mit europäischen Bühnen zu pflegen. Das sei eine große Herausforderung für die Zukunft. Man müsse neue Kreationen und auch eine neues Publikum entwickeln. Die Oper sei  nicht gefährdet, „sie sei ein kulturelles Projekt“. Wir sollten den Weg gemeinsam gehen, die Oper als Kunstform zu fördern und weiter zu entwickeln.

Marc Scorca von Opera America bezeichnete das WOF als ein historisches Meeting und erwartete, dass es ein voller Erfolg werde. Auf der einen Seite sei die Oper ein Erbe, müsse aber im 21. Jahrhundert weiter entwickelt werden und neue Elemente aufnehmen. Das sei stets eine große Herausforderung und bringe auch Spannungen mit sich. Man müsse wissen, dass die Kostensteigerung der Oper zwei bis dreimal so hoch ist wie der Anstieg der allgemeinen Lebenshaltungskosten. Man könne aber unmöglich die Kartenpreise so stark anheben. Die Top Ten der Oper seien immer noch die traditionellen Werke von Puccini, Verdi, Mozart et al. Unter den folgenden Zehn befänden sich aber auch einige amerikanische Werke. Er sei nun 30 Jahre Direktor von Opera America und der festen Überzeugung, dass die Oper eine wahrhaft internationale Kunstform ist, die überall auf der Welt ihre Bedeutung hat. Natürlich gibt es Geschmacksunterschiede, beispielsweise zwischen den USA und Europa, aber das sei auch gut so. Trotz aller Neuerungen und Fortschritte kämpfen wir immer noch mit dem Argument, dass die Rezeption altmodisch, traditionell und oft langweilig sei. Man müsse die „expressive power“ der Oper, also ihre Ausdruckskraft, hervor heben, um ihre Bedeutung für interkulturelle Aspekte des Lebens zu unterstreichen. „It is the music our bodies make!“


Nicholas Payne beim Eröffnungskonzert. Copyright: Javier del Real/Teatro Real

Nicholas Payne stellte kurz die 300 Opernkompagnien umfassende Opern-Plattform „Opera Vision“ vor, an der auch das Teatro Real teilnimmt. Viele Künstler wirken dabei aus freien Stücken mit. Opera Europa führt eine Liste von etwa 1.000 Opern und befürwortet auch Ko-Produktionen.


Copyright: Javier del Real

In der Eröffnungs-Sitzung des WOF im Zuschauerraum des Teatro Real stellte Nicholas Payne die vier großen Themen vor, denen sich die Oper heute gegenüber sieht. 2018 ist das Jahr des Kulturellen Erbes – somit ist das „Kulturelle Erbe“ das erste Thema. „Neue Werke – New Works“ sind das zweite Thema, und die Frage ist, wer von uns sich an neue Werke wage und dafür auch ein neues Publikum fände. Das dritte Thema ist „Diversität“. Wer sei in der Lage zu zeigen, dass die Oper zur Basis der Gesellschaft gehört?! Und schließlich geht es um das Thema der Rechtfertigung (advocacy) der Oper.

José Manuel Barroso, Präsident der Europäischen Kommission von 2004-2014, gab eine interessante key note Adresse und hob zunächst die kulturelle Verbundenheit der Oper mit Europa hervor. „Diversität muss das Prinzip der Einheit sein“. Schon Mozart reiste ein Drittel seines Lebens in Europa herum, obwohl er nicht sehr lange lebte. Man denke nur an die Registerarie des Leporello. Schon damals schoss Spanien den Vogel ab! Sprache in Europa heiße „Übersetzung“, und genau das sei die Oper. Europa solle und könne die Tendenzen zu geschlossenen Identitäten überwinden und stattdessen offene Identitäten fördern. Damit könne Europa zur Diversität betragen, und wir wären wieder bei der Oper… (Anm. d. Verf.)

Es gab zum Teil äußerst intensive Diskussion zu den einzelnen Themen. Die folgenden Aufführungen zu den vier Themen basieren vorwiegend auf einer Zusammenfassung, die Marc Scorca, der Präsident von Opera America, am Schluss des Meetings gab.

  1. Oper als kulturelles Erbe

Es wurde betont, dass das kulturelle Erbe Oper von Land zu Land und von Kontinent zu Kontinent unterschiedlich ist. Es wurde die große Bedeutung des traditionellen, also ererbten Repertoires, hervor gehoben, als Fundament einer gemeinsamen operistischen Ästhetik. Auch sei es ein wichtiges Eingangsportal für jenes Publikum, das durch das Standardrepertoire zur Oper kommt. Man müsse aber auch die „pipelines of creativity“ mit den „pipelines of tradition“ verbinden, um die Kunstform Oper lebendig zu erhalten. Ein anderes Thema war die Interpretation des ererbten Opernrepertoires und die große Bedeutung eines höheren Diversifikationsgrades der Interpretation der Standardwerke. Dieses schließe alle beteiligten Künstler vom Regisseur über den Dirigenten, das Orchester und die Sänger ein. Man sei der Ansicht, dass es gut sei, kulturelles Opernerbe zu bewahren, man müsse sich dabei aber von einigen liebgewonnenen Gewohnheiten (habits) trennen, um die Kunstform lebendig zu halten. Es hänge viel von der Bereitschaft ab, das ererbte Repertoire, also das Standardrepertoire, neu zu interpretieren und anzupassen, und es sei zu hoffen, dass auch die Medien bei der Erforschung dieses Repertoires auf eine neue Art und Weise mitgehen. In diesem Zusammenhang wurde auch über Ticketpreise gesprochen.

  1. Neue Werke

Es sei essentiell, dass die Kunstform Oper sich entwickelt, um bestehen zu können. Es sollten neue Werke geschaffen werden mit neuen Stilformen, Inhalten, Formaten und auch Aufführungsformen. Es sollten auch mehr Künstler von verschiedenen kulturellen Umfeldern, die neue Inhalte von heute erzählen können, auch mit neuen Kompositionsformen und neuen Produktionsstilen, für die Oper gewonnen werden. Gerade auch an der Peripherie sollten mehr neue Opern entstehen und die Häuser, die in erster Linie Standardrepertoire führen, sollten sich für die neuen Werke an der Peripherie öffnen. Neue Werke bilden auch eine große Möglichkeit für Komponisten und Librettisten, sich weiter zu entwickeln, zu lernen, Neues zu praktizieren und dabei ihre Fähigkeiten zu erkennen und auszubilden. Die Opernkompagnien sollten alles dafür tun, dass neue Werke entstehen können. Dabei müsse beachtet werden, dass jedes neue Werk seine eigene Dynamik und Entwicklung hat. Das mag auch einige der Geschäftspraktiken der Häuer tangieren, die der Unterstützung solch neuer Werke angepasst werden müssen, um Kreativität und neue Formen zu ermöglichen. Die Dramaturgie wurde ebenfalls angesprochen und hervorgehoben, dass sie auch die Musik umfassen sollte. Die Opernkompagnien könnten mehr mit dem Erziehungssystem kooperieren, insbesondere den Konservatorien und Universitäten, um Künstlern mehr Lernmöglichkeiten zu bieten und solche anzusprechen, die sich der Oper widmen wollen. Alle Opern-Akteure sollten eingebunden werden, wie die Manager der Künstler, die Agenten, die Verleger et al., sodass die Künstler das neue Werk auch singen wollen. „Künstler in Residenz“ sei auch eine gute Lern-Option. Die Verleger sollten eingebunden werden in die Entwicklung und Finanzierung neuer Werke und wie man mit ihnen am besten Kreativität fördern kann. Auch die Entwicklung von Kinderopern könne jungen Komponisten bei ihrer Entwicklung helfen und zur selben Zeit das Publikum der Zukunft schaffen.

  1. Oper und kulturelle Diversität im 21. Jahrhundert

Manche Teilnehmer waren nicht für den Begriff „Diversität“, aber es fand sich kein anderer geeigneter für die Themen dieses Kapitels. Diversität wurde insbesondere als Ausdruck von Differenzen, also Unterschiedlichkeiten gesehen, und wie man diese nutzbar machen könne, um neue Talente zur Oper zu bringen. Diversität drücke sich in verschiedenen Dimensionen aus wie Geschlecht, Alter, Rasse, ethnische Zugehörigkeit, unterschiedlich befähigte Menschen et al. Außerdem habe jedes Land eine unterschiedliche demografische Situation und Geschichte. Einigkeit bestand aber darin, dass Diversität nicht die stärkste Seite des Opernbetriebs ist und es noch viel zu tun gebe. Das Image auf diesem Gebiet sei nicht besonders gut. Es sei deshalb wichtig, sofort etwas zu unternehmen. Man sollte auch die Diversität des Publikums per Matrix im Hinblick auf entsprechende Zielvorstellungen erforschen, ebenso wie man hinsichtlich der Diversität bestimmte Ziele beim Ensemble verfolgen könne und/oder will. Man müsse auch im Hause auf allen Ebenen Aufstiegsmöglichkeiten gewähren. Und man könne Diversität in der Oper schließlich nicht nur unter Weißen diskutieren. Man müsse den anderen zuhören und von ihnen lernen, wenn sie sich für die Oper interessieren. Auch sei Diversität stark verbunden mit neuen Werken. Man könne aber auch an Diversität denken, wenn man für das traditionelle Repertoire besetzt. Diese Stücke müssten auch nicht immer im Opernhaus aufgeführt werden. Man sollte auch an partizipatorische Praktiken denken, also an eine direkte Einbindung des Opernpublikums. Auch sollte das Personal bis in die Führungsspitze trainiert werden, um mit diesen Themen vertraut zu werden und produktiv mit ihnen umgehen zu können.

  1. Rechtfertigung (advocacy) der Oper.

Rechtfertigung für wen – das Publikum, Regierungsstellen, Sponsoren, die Öffentlichkeit? Es ging um zwei Linien in der Diskussion: 1. Advocacy als eine Art fortgeschrittener PR Aktivität. Und 2. Advocacy heiße auch, über das Unterschiedliche zu sprechen, das die Kunstform Oper rechtfertigt. Das inkludiere die Arbeit der Oper in verschiedenen Sphären wie Erziehung, Sozialwesen, Dienstleistungen für ältere Menschen und Kinder. Wir müssten uns über die Prioritäten lokaler Gesellschaften kümmern, was auch Zusammenarbeit beinhaltet. Man wolle nicht eine eigene Meinung aufdrücken, sondern gemeinsam mit der Gesellschaft etwas entwickeln. Wir sollten uns im Klaren sein, was außerhalb der Mauern des Opernhauses in der Gesellschaft läuft. Alle in der Oper sollten mit Stolz darüber sprechen können, was man für diese Gesellschaft tun kann und tut. Dazu sei auch die Zusammenarbeit mit den sozialen Medien, dem Fernsehen, den Zeitungen sowie der Strasse erforderlich. Manchmal könne die Arbeit an diesen kontroversiellen Themen in Konflikt geraten mit lokaler und nationaler Politik. Eine wichtige Frage in diesem Zusammenhang sei auch, wie man das Wohlbefinden bzw. die Zufriedenheit des Publikums messen kann, das in die Oper geht. Das sei sehr schwer zu messen, aber es wäre interessant.

Es gab also viele interessante Themen, die hier besprochen wurden. Es wurde während der Kaffeepausen und natürlich in den Themengruppen klar, dass man eine Fortführung dieser globalen Art des Zusammentreffens wünscht, sei es in diesem Format oder in Arbeitsgruppen. Ignacio García-Belenguer Laita habe den Weg gezeigt, wie es geht.


Teatro Real Madrid. Copyright: Klaus Billand


Matthew Wild, Artistic Director der Cape Town Opera, Südafrika. Der einzige Vertreter einer Company aus Afrika. Copyright: Javier del Real/Teatro Real

In der Tat war das 1. Welt-Opern-Forum unter der kompetenten Organisation des Teatro Real Madrid eine überaus interessante und spannende Veranstaltung, die nicht nur viele relevante Themen aufwarf und diskutierte. Diese dürften nicht ohne weiteres dem „normalen“ Opernbesucher geläufig sein, der sich am Abend in einem Opernsessel niederlässt. Das WOF gab darüber hinaus einen starken Impuls für weitere Zusammentreffen dieser Art neben den regionalen Treffen auf globaler Ebene. Es könnte vielleicht auch eine Anregung für die Delegationen aus Asien, Afrika und Ozeanien gewesen sein, selbst einen Dachverband bzw. eigene Dachverbände zu gründen. Das würde ihre Stimme sicher noch stärker zur Geltung bringen.

Klaus Billand


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