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MUSIKTHEATER bei den Wiener Festwochen 2018 – ist ‚Hochkultur‘ nun abgeschafft?

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MUSIKTHEATER bei den Wiener Festwochen 2018  – ist ‚Hochkultur‘ nun abgeschafft?

Ganz und gar nicht festlich – so haben die Wiener Festwochen 2018 musikalisch geklungen. Und Feststimmung ist in all den fünf Wochen keine aufgekommen. Das ganze Angebot an den diversen zumeist kleineren Events mit fast ausschließlich aus dem Ausland engagierten Künstlern und Ensembles wirkte an den kulturellen Rand gerückt und ist gleichsam unbemerkt vorbei gezogen. Ist es als eine seriöse Suche nach einer neuen Geistigkeit oder doch nur als eine nicht geglückte politische Rochade anzusehen? Die aus politischen Motivationen begonnene Umstrukturierung der von der Stadt hoch dotierten Wiener Festwochen durch Intendant Tomas Zierhofer-Kin und die Ausschau nach einem neuen Publikum mit Blickrichtung nach noch nicht kulturell belasteten jüngeren Menschen ist jetzt auch beim zweiten Anlauf unbefriedigend geblieben: Von eigenschöpferischer Kreativität war nichts zu merken; es sind in Koproduktionen eingekaufte kurz gastierende Ensembles gewesen; und der Großteil des interessierten früheren Wiener Publikums hat sich bereits abgemeldet.

Bemühte Sozialkritik prägte die meisten dieser Gastspiele. Dazu gehört für die neue Zielgruppe wohl nicht klassischer Wohlklang, sondern Sound, sehr lauter, die Ohren quälender und ständig repetierender Computersound – solch einer ist fast immer zu hören gewesen. Am ersten Abend ist eine Synthesizer-Kampfmannschaft aus Manchester mit toll aufgebauschter Sound & Optik-Equipe angetreten. Statt Musik heißt es nun eben Sound. Oder auch: Ton, Klang, Elektronik, Soundtrack, Electric …. wie auch immer. Und für den Sound der Installation „micro/macro – the planck universe“ des Japaners Ryoji Ikeda mit hochfrequenten Tönen ist die Warnung gekommen: “ …. dies könne unter Umständen epileptische Anfälle auslösen“. War wohl ironisch gemeint. Denn es dümpelte gleichförmig dahin. In der Outsourcing-Performance „Deep Present“ der Koreanerin Jisun Kim ertönte kurz Richard Strauss‘ „Zarathustra“-Trompetengeschmetter. Schnell wieder vorbei – mit stereotypen Maschinenklängen ist es belanglos weiter gegangen.

Überwiegt haben Produktionen oder Performances, in denen Klangteppiche doch stark dominierend gewesen sind: Die Neuinterpretation von Aischylos´ „Die Orestie“ durch das Hamburger Thalia-Theaters untermalten ein andauerndes leise Gesäusel oder simpler archaischer Sprechgesang. Langatmig präsentierte sich Christoph Marthalers singende Spielgemeinde in „Tiefer Schweb – Ein Auffangbecken“ in gewohnter, doch nun bereits stark ausgereizter Manier. Durchaus  unterhaltsam und dabei schräg konnte das Anarcho-Tierpuppen Musical „The 2nd Season“ mit internationalen Wurzeln und Funk-Posaunist Fred Wesley gefallen. Zum Abschluss hat es aber doch noch eine richtige Oper gegeben. Allerdings in asiatischem Format: koreanisch. Wer sich dem hochintensiven Sprechgesang mit den andauernden grellen Aufschreien hingeben konnte, durfte eine durchaus berührende Aufführung von „Trojan Women“ erleben. „Die Troerinnen“ des Euripides in der Version von Jean-Paul Sartres, von der National Changgeuk Company of Korea in modernem Gewand, doch der Tradition koreanischen Musiktheaters folgend, in strengem Stil und mit starker Aussage als wahre griechische Tragödie konzipiert.  

Dazwischen einmal ausnahmeweise nicht ständig repetierender Computersound, sondern Franz Schuberts Liederzyklus „Winterreise“ in der Orchesterfassung von Hans Zender – gar nicht erbaulich oder vergeistigend, wenn Regisseur Kornél Mondruczó zu „Fremd bin ich eingezogen, fremd zieh ich wieder aus“ oder „Gefrorene Tränen“ Filmeinspielungen von Flüchtlingslagern und -strömen oder aktuelle deprimierende Momentaufnahmen vorführen lässt. Und mit ausschließlich in Zeitlupentempo ausgeführten Massen-Beziehungsstudien hat Gisèle Viennes Tanzstück „Crowd“ ermüdet, endlos lang auf erdigem Boden in den alten Gösserhallen als interessante neue Spielstätte in einem Randbezirk vorgeführt. Hier hat alles den Anstrich von Workshop-Charakter gehabt. So auch „A Dancer´s Day“ von Boris Charmatz und dessen Musée de la Danse. Höhepunkt, vielleicht: Ein splitternackter älterer Boy hüpft, kriecht, posiert gestikulierend zwischen dem am Boden kauernden Publikum herum, zeigt plaudernd vor, wie man sich irgendwie tänzerisch bewegen kann. Als Abschluss dann ein Dancefloor mit Electric Indigo. 

Ein heikles Resümée dieser von der Presse schwer kritisierten Wiener Festwochen 2018: Ein Aufbrechen in Neues ist angesagt – wie gelingt es der eingeschlagenen Kulturpolitik der Stadt, ein jüngeres, nur wenig oder kaum mehr gebildetes Publikum anzulocken, damit es hier mit aktuellem Kunstschaffen oder zeitgeistigen Kulturaktivitäten in Berührung kommt. Distanzen sollen überwunden werden, Sozialpopulismus ist angesagt. Für diese Zielgruppe scheint das langjährige Modewort ‚Hochkultur‘ abgeschafft. Doch Nachhaltigkeit scheint es zur Zeit mit den bis jetzt mit großem finanziellen Aufwand angebotenen Kunstpetitessen keine gegeben zu sein – aber vielleicht geht dieses Konzept mit der Zeit noch auf.

Meinhard Rüdenauer

 


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